Interview | Deutsch-polnisches Barometer - "Nicht die Politik, sondern die Menschen prägen die Beziehungen"

Mi 29.06.22 | 17:28 Uhr | Von Stefan Kunze
Zwei Besucher warten auf die Eröffnung der Europabrücke, die über dem deutsch-polnischen Grenzfluss Oder eine Verbindung zwischen beiden Ländern schafft. (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Bild: dpa/Patrick Pleul

An deutschen Küchentischen ist Polen selten Thema. Weitaus besser sind unsere Nachbarn über die Geschehnisse hierzulande informiert. Das zeigt eine neue Studie. Mitautorin Agnieszka Łada-Konefał erklärt, wie sich das auf die Beziehungen auswirkt.

rbb|24: Frau Łada-Konefał, Sie selbst wandern zwischen beiden Welten mit Arbeitsorten in Warschau und jetzt in Darmstadt. Auf einer Skala von 1 bis 10, wo stehen wir jetzt im deutsch-polnischen Verhältnis?

Agnieszka Łada-Konefał: Wenn man die politischen Beziehungen beurteilt, dann sind wir bei sechs. Wenn wir alles zusammennehmen, also auch die zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, dann sind wir schon bei sieben oder acht. Mehrheitlich läuft es in den deutsch-polnischen Beziehungen gut. Nicht die Politik, sondern die Menschen prägen die Beziehungen.

Im Vergleich zu vorherigen Erhebungen hat es sich also in beide Richtungen verbessert?

Ich denke, es hat sich verbessert. Wenn es um die Kontakte geht, um das Verständnis, um die Vielfalt der Beziehungen. Leider hören wir in der Politik und auf der rhetorischen Ebene viel Negatives und das ist so laut, dass es manchmal das Bild prägt. Das ist verwirrend. Man denkt, das Negative, das von der polnischen Regierung kommt, ist das, was man in Polen über Deutschland denkt. Am Ende sind das nur ein paar sehr laute Politiker und sehr laute Journalisten. Es ist aber auf keinen Fall die Mehrheit.

Die Hälfte der Polen empfindet Sympathie für Deutsche, die Deutschen empfinden etwas weniger Sympathie für Polen. Worauf ist das zurückzuführen?

Das liegt vor allem es an den unterschiedlichen Kenntnissen. Die Polen kennen Deutschland aus eigener Erfahrung besser und deswegen fallen die Antworten auf die Frage nach den Sympathiewerten positiver aus. Die Deutschen kennen Polen nicht so gut. Dann sagen sie entweder, ich kann die Frage nicht beantworten oder sie geben eine neutrale Antwort, die in der Mitte der Skala liegt.

Damit haben Sie im Grunde genommen schon gesagt, wer mehr vom Nachbarn weiß. Aber woher kommt das jeweilige Wissen? Und gibt es da auch Unterschiede?

Das ist eine Frage, die wir für sehr wichtig halten und die sehr viele andere Fragen sehr gut erklärt. Wir haben eine Liste mit verschiedenen Wissensquellen abgefragt, wie Schule, Fernsehprogramme, Gespräche mit Familienmitgliedern oder mit Bekannten, Internetportale, Presse, Bücher, Filme. Und hier sehen wir ganz deutlich, dass die Polen über viele verschiedene Quellen etwas über Deutschland erfahren.

Zum Beispiel hat die Hälfte der Polen gesagt, dass sie über Deutschland etwas in der Schule gehört haben. Auf deutscher Seite haben das nur 28 Prozent angegeben. In Polen haben auch 38 Prozent Internetportale als Informations- und Wissensquelle angegeben, in Deutschland nur 17 Prozent. Wenn ich für mich täglich eine Art Presseschau mache, dann kann ich im polnischen Internet immer etwas über Deutschland lesen. Auf den deutschen Internetportalen finde ich sehr selten Informationen über Polen. Hier liegt der große Unterschied.

Info

Seit mehr als 20 Jahren fragt das Warschauer Institut für öffentliche Angelegenheiten mit Partnerorganisationen Menschen in Deutschland und Polen, was sie von ihrem jeweiligen Nachbarn halten. Dieses Jahr geht das deutsch-polnische Barometer [deutsches-polen-institut.de] besonders darauf ein, woher das Wissen über das Nachbarland kommt.

Sie sagen, der Aufenthalt im Nachbarland ist auch ein entscheidender Einflussfaktor auf das Bild des Nachbarn. Eine Möglichkeit, sich kennenzulernen, ist Tourismus. Machen wir zu wenig Urlaub im Nachbarland?

Ja, für viele Deutsche ist Polen immer noch so ein Land in Osteuropa, wahrscheinlich nicht so interessant und nicht so entwickelt. Das ist falsch. Wenn man schon einmal in Polen war, dann weiß man, das ist super interessant. Es lohnt sich, als Tourist zu kommen. Das ist genauso interessant wie andere europäische Länder. Aber das muss man zuerst wissen. Das ist die Aufgabe, den Deutschen Polen etwas schmackhafter zu machen.

Klingt so, als ob Sie Polens Regierung raten, eine große touristische Kampagne zu starten?

Ja, das wäre eine sehr gute Methode. Man sollte Menschen aus Deutschland nach Polen einladen oder Begegnungsprojekte fördern. Das müssen keine großen Zahlen an Teilnehmern sein, aber das sind dann Multiplikatoren. Das würde ich der polnischen Regierung empfehlen: Viele Deutsche nach Polen einzuladen und das Land zu zeigen.

Nun haben Sie diese Studie im Februar kurz vor Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine erhoben. Nach über drei Monaten Krieg hören wir aus Polen große Unzufriedenheit über Deutschland: über den Umgang mit Russland, den Umgang mit ukrainischen Geflüchteten. Wenn Sie jetzt Ihre Barometerstudie durchführen würden, wäre das Ergebnis ein anderes?

Das werden wir im nächsten Jahr sehen. Da haben wir eine gute Möglichkeit, zu vergleichen. Ich denke, das sind Tendenzen, die auch bleiben werden. Die Polen sind sehr kritisch, wenn es um die deutsche Haltung im Ukraine-Krieg geht. Für viele Polen, eigentlich für fast alle – hier sind sich die Menschen gerade sehr einig – ist die deutsche Regierung zu langsam, macht zu wenig und ist immer noch russlandfreundlich. In Deutschland hingegen ist das Bild Polens auch ein bisschen besser geworden, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Da sind die Deutschen begeistert, was viele Polen geschafft haben.

Am Donnerstag werden Sie die Studie im Bundestag vorstellen, verbunden mit einer kleinen Podiumsdiskussion unter dem Motto "Gute Polen, böse Deutsche". Empfinden sich viele Polen jetzt als aufgewertet, weil sie in der Ukraine-Frage klarer vorgehen? Steht dahinter vielleicht der Wunsch, aus der Rolle des Kleineren herauszukommen, auf Augenhöhe zu kommen?

Einerseits ist es wichtig für die Polen, unabhängig von ihrer politischen Einstellung, zu zeigen, wir können liefern, wir schaffen viel und wenn wir gebraucht werden, sind wir ein gutes NATO-Mitglied und auch ein gutes EU-Mitglied. Und gerade in Bezug zu Deutschland ist es den Polen sehr wichtig zu zeigen, wir sind nicht immer der kleine Bruder, der es nicht schafft. Das ist einfach historisch geprägt, dass man das auch in Polen wissen will.

Das wird vor allem in Regierungskreisen auch sehr herausgehoben, manchmal mit großer Schadenfreude. Wir sollen doch den Deutschen zeigen, dass wir die besseren Europäer sind. Ich plädiere dafür in bilateralen Gesprächen gegenüber den Deutschen deutlich zu machen, dass wir auch Expertise haben und am besten gemeinsam vorgehen.

Geht es dabei auch um eine Art Minderwertigkeitsgefühl, in das historische Erfahrungen hineinspielen?

Ja, da stimme ich zu. Das ist leider etwas typisch Polnisches. Auf der deutschen Seite sollte man das wissen und auch verstehen und alles tun, um eine Ebene der Augenhöhe zu schaffen. Gerade jetzt gibt es diese Chance. Ein gutes Beispiel dafür sind die Projekte der Kommunen, die gemeinsam etwas für die ukrainischen Flüchtlinge gemacht haben. Da haben die deutschen Städte die polnischen Partnerstädte angerufen und gefragt: Liebe Freunde, ihr seid mehr betroffen als wir, ihr habt die Kontakte, was können wir tun, ihr seid die Experten. Da hat die Zusammenarbeit sehr gut geklappt. So könnte es auch in der hohen Politik laufen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Stefan Kunze.

Sendung: Antenne Brandenburg, 29.06.2022, 15:42 Uhr

Beitrag von Stefan Kunze

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