AOK-Zahlen für Berlin und Brandenburg - Krankschreibungen wegen Atemwegserkrankungen auf Rekordhoch

Do 22.12.22 | 15:08 Uhr
Ein Arzt oder Krankenpfleger untersucht am 13.11.2022 eine Patientin mit einem Stethoskop bei einem Hausbesuch. (Quelle: dpa/Michael Bihlmayer)
Audio: Oliver Meurers | Antenne Brandenburg | 22.12.2022 | Bild: dpa/Michael Bihlmayer

Zum Jahresende ächzen viele Betriebe unter dem hohen Krankenstand. Besonders Krankschreibungen wegen Atemwegserkrankungen haben deutlich zugenommen, wie rbb|24 von den Krankenkassen erfuhr.

In Berlin und Brandenburg waren Mitte Dezember außergewöhnlich viele Menschen krank geschrieben - besonders mit Atemwegserkrankungen. Laut aktueller Daten der "AOK Nordost" waren es in Berlin und Brandenburg so viele Menschen, wie nie zuvor.

Auch eine rbb|24-Abfrage bei den größten Krankenkassen ergab, dass sich vor allem die Zahl der Krankschreibungen wegen Atemwegserkrankungen im Vergleich zu den Vorjahren erheblich erhöht hat - teilweise haben sie sich mehr als verdoppelt. Auch der Krankenstand aufs gesamte Jahr betrachtet war außergewöhnlich hoch.

In Brandenburg meldeten sich in der zweiten Dezemberwoche rund 60 Prozent mehr Menschen krank als im Mittel der drei Vorjahre, in Berlin waren es sogar 73 Prozent mehr. Das teilte die "AOK Nordost" am Donnerstagnachmittag mit. Zusammengerechnet waren damit alleine bei der AOK über 132.000 Menschen in der Region Mitte Dezember krank geschrieben. Ein Großteil der Menschen, fast 43.000, litt an Atemwegserkrankungen. Das sind mehr als doppelt so viel wie im Vorjahresmittelwert (15.900).

Auch die "Barmer" registrierte für Berlin eine deutliche Steigerung der Krankmeldungen wegen Atemwegserkrankungen zum Jahresende. 433 je 10.000 Versicherten (mit Anspruch auf Krankengeld) waren es Anfang Dezember. Im Vorjahr wurden im Vergleichszeitraum noch 229 Menschen krank geschrieben, in den Jahren vor der Pandemie sogar nur rund 200. In Brandenburg stiegen die Zahlen auch, allerdings nicht ganz so steil - von rund 225 je 10.000 Versicherte vor der Pandemie zu 381 im Vorjahr und 455 in diesem Jahr.

Die "DAK" kommt für Berlin sogar auf noch höhere Werte, hier gab es eine Verdreifachung der Krankschreibungen wegen Atemwegserkrankungen im Vergleich zum Vorjahr (von rund 680 auf fast 2.300), in Brandenburg eine Verdopplung (von rund 1.200 auf fast 2.600). Die "Techniker Krankenkasse" übermittelte keine gesonderten Daten zu Atemwegserkrankungen in der Region, teilte aber mit, dass bundesweit von Januar bis November etwa doppelt so viele Atemwegserkrankungen wie im Vergleichszeitraum der Jahre 2019 und 2020 registriert worden seien.

Atemwegserkrankungen üben "hohen Druck" auf Praxen aus

Der Charlottenburger Allgemeinmediziner Ilker Aydin beobachtet in seiner Praxis ebenfalls einen "drastischen Anstieg" an Atemwegserkrankungen. "Es ist ein hoher Druck auf die Praxen, der gerade ausgeübt wird durch die Erkältungskrankheiten", sagt er. Die häufigsten Symptome der Patienten in seiner Praxis: "Fieber, Halsschmerzen, Husten, Gliederschmerzen" - die Klassiker.

Von einer höheren Sensibilisierung wegen Corona oder Vorsichtsmaßnahmen geht Aydin nicht aus. "Die Leute, die bei uns waren, waren tatsächlich krank und brauchten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Sie haben ein erhebliches Krankheitsgefühl", sagt er.

2022 gab es außergewöhnlich viele Monate mit hohem Krankenstand

Auch der bundesweite Krankenstand lag im November außergewöhnlich hoch für diese Jahreszeit, bei rund 5,7 Prozent. In den letzten zehn Jahren gab es so einen hohen Wert zu dieser Jahreszeit nur ein Mal - im Dezember des vergangenen Jahres (6,1 Prozent).

Werte um die sechs Prozent sind normalerweise der Höhepunkt einer Grippewelle. Allerdings werden diese klassischerweise im Februar oder März erreicht (während der Grippewelle 2018 betrug der Krankenstand im März sogar 6,98 Prozent). In diesem Winter kam die Grippe also deutlich früher. Und noch etwas ist anders: Seit Januar folgte eine Welle auf die nächste. Vor Corona gab es meist nur einen oder zwei Monate pro Jahr, die derartig hohe Krankenstände auswiesen. Dieses Jahr waren es schon fünf von bisher elf ausgewerteten - so etwas kam in den letzten 20 Jahren noch nie vor, wie aus den Daten des Bundesgesundheitsministeriums hervor geht.

"Wir haben immer noch Corona, das ist noch da und kommt in Wellen. So hält sich das Grundrauschen auf einem relativ hohen Niveau", sagt Ilker Aydin, "und dann gibt es noch die Folgeerkrankung von Corona - Long Covid. Auch das führt zu hohen Arbeitsausfällen. Es gibt außerdem seelische Erkrankungen, die mit Coronaerkrankungen schlechter geworden sind oder durch die Lockdown-Maßnahmen und andere Dinge. Der Ukraine Krieg, die Inflation, das alles kann die seelische Gesundheit beeinflussen", sagt er.

Größte Unternehmen beklagen Ausfälle - Deutsche Post Lieferungen "stabil"

Die Folge: In vielen Betrieben fehlten in den letzten Wochen viele Menschen krank bei der Arbeit. Einige der größten Arbeitgeber der Region bestätigen den Eindruck auf Anfrage. Die Post, die Berliner Verkehrsbetriebe, Vivantes und die Charité teilten alle mit, unter dem derzeitigen Krankenstand zu leiden, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Die Charité hatte bereits in der vergangenen Woche bekannt gegeben, planbare Operationen verschieben zu wollen. Vivantes will darauf bisher noch weitestgehend verzichten, aber nur, weil es zum Jahresende ohnehin weniger planbare Eingriffe gebe, wie ein Sprecher erklärte.

Die BVG weißt darauf hin, dass teilweise Fahrten entfallen müssen, über die Feiertage gilt allerdings ohnehin ein ausgedünnter Ferien-Fahrplan. Auch die S-Bahn (Deutsche Bahn) hatte bereits auf ihrer Homepage verkündet, auf einigen Linien die Taktung zu verringern. Die Deutsche Post teilt dem rbb mit, die Situation bei der Zustellung sei in Berlin trotz der Grippewelle "stabil", besonders bei den Paketen. Man gehe davon aus, die Lieferversprechen für Weihnachten einhalten zu können.

Jüngster RKI Bericht macht Hoffnung auf baldiges Ende der Welle

Die gute Nachricht kommt vom Robert-Koch-Institut: Möglicherweise ist der Kamm der Welle gerade überschritten. Denn das RKI schreibt in seinem aktuellen Wochenbericht der "Arbeitsgemeinschaft Influenza" (betrachtet die Zeit vom 12.12. bis 18.12.), dass die Zahl der Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung im Vergleich zur Vorwoche leicht gesunken sei. In der Woche davor war sie bereits konstant zur Vorwoche geblieben - der letzte Anstieg liegt also bereits zwei Wochen zurück.

Allerdings: Zu früh freuen wollen sollte man sich noch nicht. Das Ende der verfrühten Welle im November und Dezember muss nicht bedeuten, dass das Thema Grippe für diesen Winter erledigt ist. "Die Welle ist tatsächlich ein bisschen früher gekommen als wir sie kennen, aber eine komplette Absage, dass es das jetzt schon war, würde ich nicht treffen.", sagt Allgemeinmediziner Aydin. Es sei nicht auszuschließen, dass Anfang des Jahres eine zweite Welle komme. Und auch die aktuell sinkenden Zahlen liegen immer noch über dem Höhepunkten vergangener Grippewellen. Die Lage bleibt also erstmal angespannt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.12.2022, 16 Uhr

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