Corona-Lage in Berlin und Brandenburg - Kein Grund zur Panik, aber...

Di 12.07.22 | 13:41 Uhr | Von Haluka Maier-Borst
Archivbild: Eine Intensivfachpflegerin betreut auf der Intensivstation des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe einen Covid-19-Patienten. (Quelle: dpa/C. Soeder)
Audio: rbb24 Inforadio | 12.07.2022 | Interview mit Virologin Helga Rübsamen-Schaeff | Bild: dpa/C. Soeder

Wieder steigt die Zahl der Neuinfektionen, wieder melden einige Intensivstationen Engpässe. Trotzdem ist dieses Mal einiges anders. Das macht Hoffnung und Sorge zugleich. Von Haluka Maier-Borst

Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: das System ist kaputt. Und das fängt bei der Teststatistik an und geht beim Krankenhaussystem weiter. Aber eins nach dem anderen.

Obwohl längst ein Großteil der Corona-Infektionen nur über Schnelltests nachgewiesen wird, gehen in die offizielle Statistik nach wie vor nur Fälle ein, die aus PCR-Nachweisen stammen. Noch dazu sind selbst die Schnelltests inzwischen nur unter bestimmten Voraussetzungen kostenlos. Wer also nicht das nötige Kleingeld hat oder es gar nicht so genau wissen will, lässt sich gar nicht erst testen. Entsprechend schwammig ist das Bild des Infektionsgeschehens.

Als Krücke schauen wir bei rbb|24 deswegen auf zwei Dinge. Zum einen auf den Trend von Woche zu Woche. Das ist bei Weitem nicht perfekt. Aber es folgt grob der Idee: Wenn das kaputte Thermometer gestern weniger Grad anzeigt als heute, dann ist es wohl wärmer geworden. Und frei nach dieser Metrik nimmt aktuell wieder das Infektionsgeschehen zu. Es ist aber noch kein rapider Anstieg zu sehen.

Trotzdem sollte man all das mit Vorsicht interpretieren, weil alle Zahlen auf PCR-Tests beruhen. Aktuell weist der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL) darauf hin, dass viele Menschen nach positivem Schnelltest nicht den PCR-Test in Anspruch nehmen, der ihnen zusteht.

Zum anderen schauen wir bei rbb|24 auch auf die Fälle in den Krankenhäusern. Die tauchen aufgrund des Verlaufs der Krankheit naturgemäß erst verspätet in der Statistik auf. Aber immerhin sind die Zahlen hier wohl einigermaßen präzise. Hier gibt es auch ein bisschen Entwarnung. Ja, es werden inzwischen wieder mehr Patient:innen mit Corona auf Intensivstationen eingewiesen. Aber das Niveau ist immer noch relativ niedrig. Und bei den Normalstationen ist es wohl eher so, dass Corona ein Nebenbefund ist.

Es sind Personalausfälle, nicht Bettenmangel das Problem

Das heißt aber dennoch nicht, dass alle Warnungen vollends grundlos sind. Zum einen ist mit den neuesten Varianten noch unklar, inwiefern sie sich auf die Lage auswirken werden [nature.com]. In Südafrika gab es durch die Welle von BA.4 und BA.5 weniger Tote als bei BA.1. In Portugal dagegen sieht aktuell die Lage vergleichbar schwierig aus wie bei der ersten Omikron-Welle.

Dank Impfungen und früheren Infektionen ist die Lage also in keinem Fall so dramatisch wie im ersten Jahr der Pandemie. Trotzdem ist ein klarer Anstieg zu verzeichnen. Und Mediziner:innen wie dem Amerikaner Eric Topol vom Scripps Research Institut macht Sorgen, dass womöglich BA.5 besser in Zellen eindringen kann, also potenziell ansteckender ist (nicht aber tödlicher für den Moment). Das Virus wird, auch wenn das immer wieder einige Expert:innen behaupten, nicht zwangsläufig harmloser.

Zudem hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) bereits darauf hingewiesen, dass die Lage längst nicht entspannt ist. Divi-Präsident Gernot Marx sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, dass mehr als die Hälfte der Intensivstationen im teilweise eingeschränkten oder eingeschränkten Betrieb arbeiteten. Für Berlin sind das 26 von 41 meldenden Stationen und für Brandenburg 31 von 48. Aber diese Zahlen brauchen ein wenig Einordnung.

Diese Maßzahl allein gibt nämlich nicht an, wie viele Betten die Intensivstationen haben, die keinen Normalbetrieb aufrecht erhalten können. Oder anders gesagt, wenn mehrere kleinere Stationen gerade einen eingeschränkten Betrieb haben, ist das sicherlich nicht ideal. Es ist aber längst nicht so dramatisch, wie wenn zum Beispiel für Berlin die Charité und andere Großversorger vollkommen am Anschlag sind. Genau das ist aber nicht der Fall, es gibt Kapazitäten, es gibt noch freie Betten. Entsprechend zeigt sich die regionale Lage wie folgt:

Außerdem ist auch nicht aus der Zahl der eingeschränkten Intensivstationen allein ersichtlich, was genau der Grund für diese Belastungslage ist. Divi-Präsident Marx spricht davon, dass aktuell der hohe Corona-Krankenstand bei den Mitarbeiter:innen plus die Urlaubszeit zu den Engpässen führen. Auch denkbar ist, dass teilweise viele Intensivstationen jene Operationen nachholen, die in den Höhepunkten der Pandemie schlicht nicht mehr machbar waren und geschoben wurden.

Sprich das Problem ist aktuell eben nicht die schiere Zahl der Intensivbetten wie in den früheren Phasen der Pandemie. Das Problem eben das Vorhaben nach und nach wieder einen “normaleren” Betrieb zu ermöglichen. Genau das ist aber angesichts der aktuellen Personalausfälle und des sowieso vorhandenen Personalmangels in der Intensivpflege schwierig. Entsprechend gibt es auch keine wirkliche kurzfristigen Lösungen. Wirklich helfen würden nur dauerhafte Reformen, die bessere Arbeitsbedingungen in der Intensivmedizin schaffen, und ein Personalstand, der auch in Zukunft Corona-, Grippe- oder sonstige Erkrankungswellen abfedert.

Beitrag von Haluka Maier-Borst

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