Interview | Rückgabe der Benin-Bronzen - "Solche militärischen Raubzüge sind meist eine recht eindeutige Sache"
Vor 125 Jahren wurde das Königreich Benin geplündert. Danach gelangten Hunderte Kunstwerke nach Berlin. Nun sollen sie zurückgegeben werden. Viele könnten dennoch hier bleiben, glaubt Barnaby Phillips, der ein Buch über die Benin-Bronzen geschrieben hat.
rbb|24: Herr Phillips, es gibt eine Passage in Ihrem Buch, in der Sie beschreiben, wie schwer es ist, das korrekte Alter vieler Benin-Bronzen zu schätzen. Der Grund dafür ist ein Feuer, das 1897 im Zuge der Plünderung im Königspalast ausgebrochen ist. Können Sie erklären, was dabei mit den Artefakten passiert ist?
Barnaby Phillips: Das Feuer ist ein möglicher Grund dafür, weshalb es schwierig ist, das Alter der Benin-Bronzen abzuschätzen. Wir glauben, dass die Stücke, die damals geplündert wurden, über einen Zeitraum von etwa 500 Jahren entstanden sind. Museumskuratoren versuchen heute oft, das Alter von gebrannten Objekten durch sogenannte Thermolumineszenzdatierung - oder TL-dating - zu bestimmen. Man misst dabei, wie lange ein gebranntes Objekt natürlicher Strahlenbelastung ausgesetzt war seit seiner Herstellung.
Doch die Methode funktioniert nicht, wenn die Gegenstände erneut großer Hitze ausgesetzt werden. Es ist dann so, als wird die Uhr zurückgedreht. Zwei oder drei Tage nachdem die Briten am 18. Februar 1897 Benin erobert hatten, fegte ein großes Feuer durch den Palast. Viele Bronzen und Elfenbeinschnitzereien sind dabei beschädigt wurden. Egal wie alt diese Kunstwerke wirklich sind, die Thermolumineszendatierung wird auf dieses Ereignis weisen.
Ist dieses Wissen für immer an die Flammen verlorengegangen?
Es ist sehr schwer, diese Informationen jemals wiederzuerlangen. Das ist eine Tragödie dieses Raubzugs, aber nicht die einzige. Wir im Westen sehen darin vielleicht nur die Plünderung eines Palastes. Für das Volks der Edo war dies aber auch ein Ort der eigenen Geschichte und Spiritualität. Es ist für sie eher so, als wären gleichzeitig eine Bibliothek, eine Kathedrale und das Herrscherhaus ausgeraubt und niedergebrannt worden.
Aber schon vor dem Feuer wurde der Palast durch die Soldaten maßgeblich zerstört. Uralte Schreine wurden schroff zerlegt, anschließend wurde die Beute zusammengerafft und britische Offiziere posierten davor. Den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen, ist unglaublich schwierig. Die Edo sowie einige westliche Gelehrte versuchen seither, dies zu tun.
Was wissen wir heute über die Benin-Bronzen und was nicht?
Wir wissen, dass sie mehr als nur Kunstobjekte für die Edo waren. Sie waren auch geschichtliche Aufzeichnungen und hatten eine spirituelle Bedeutung. Nach dem Tod eines Obas - dem König von Benin - wurde typischerweise ein Schrein erbaut. Dafür wurden neue dekorative Metallplatten gegossen. Im Palast existierte dadurch eine Ahnengalerie, die Aberhunderte von Jahren überspannte.
Wir wissen, dass eine elitäre Gilde von Künstlern die Platten angefertigt hat. Sie waren dem Oba vollkommen untergeben. Im Gegenzug stellte er sie unter seinen Schutz. Der Oba gab ihnen Ehefrauen, Unterkünfte, Essen und dafür mussten sie ihm dienen. Heute ist die Beziehung eine ganz andere. In der Igun Street in Benin-City arbeiten nach wie vor Kunsthandwerker an historischer Stelle. Statt dem König unterliegen sie dem freien Markt und versuchen, mit Touristen Geschäfte zu machen. Der spirituelle Aspekt ihrer Arbeit ist in den Hintergrund gerückt.
Wo sind die Benin-Bronzen nach der Plünderung gelandet? Wie viele befinden sich zum Beispiel in privaten Sammlungen?
Wir wissen nicht einmal, wie viele Objekte die Briten im Chaos des Überfalls und der anschließenden Verwirrung exakt entwendet haben. Es waren Tausende. Wie viele sich in Privatbesitz befinden, wissen wir nicht. Ich weiß von 15 Exemplaren, die das betrifft. Darunter sind vier, die ich als Meisterwerke bezeichnen würde. Es scheint mir zwar so, als sind das nicht die einzigen. Aber dass Benin-Bronzen in privaten Sammlungen versteckt sind, ist kein großes Problem.Private Sammler stehen aktuell nicht im Fokus.
Stattdessen richten sich die Rückforderungen aktuell hauptsächlich an Museen. Sie sind anfällig für Druck der Öffentlichkeit und müssen vor der Politik Rechenschaft ablegen. In den vergangenen 30 oder 40 Jahren haben diese ihre Haltung stark geändert. Früher haben sie ein großes Geheimnis um ihre Bestände gemacht. Heute beteiligen sich viele an Projekten wie Digital Benin, eine digitale Plattform, auf der Museen Listen ihrer Objekte aus dem historischen Benin veröffentlichen [digital-benin.org].
Das Museum am Rothenbaum in Hamburg stellt aktuell Benin-Bronzen aus seinen Beständen aus, das Lindenmuseum in Stuttgart tat dies vor Kurzem auch. Die Berliner Sammlung kann hingegen nicht öffentlich gesehen werden. Sollten afrikanische Okjekte, die während der Kolonialzeit nach Europa kamen, überhaupt noch gezeigt werden?
Die großen deutschen Museen sind sich einig, dass sie das Eigentum an Nigeria übertragen wollen. Das ist die moralische und ethische Entscheidung, die sie getroffen haben. Sie hoffen natürlich, weiterhin viele ihrer Benin-Bronzen ausstellen zu können. Das könnte zum Beispiel durch Dauerleihgaben gelöst werden. In vielen Fällen würden die Objekte Deutschland nie verlassen. Für alle Seiten könnte dies eine zufriedenstellende Lösung für ein moralisches Dilemma sein.
Für die nigerianische Seite ist wichtig, dass ein historisches Unrecht beglichen wird. Sie wird einige zurücknehmen wollen. Aber sie will auch, dass die Benin-Bronzen weiterhin auf der ganzen Welt ausgestellt sein werden.
Viele Schätze, die während der Kolonialzeit in den Besitz deutscher oder europäischer Museen gekommen sind, schlummern in Archiven. In Afrika ist dies nicht so.
Natürlich ist dieses Ungleichgewicht eine direkte Folge der Kolonialzeit. Damals wurden unfassbare Mengen an Objekten aus Afrika verbracht. Schließlich landete das alles in den Händen von Kolonialmächten wie Großbritannien, Deutschland oder Frankreich.
Ich würde allerdings zögern zu sagen, dass es in afrikanischen Museen nichts gibt. Das Nationalmuseum in Lagos verfügt über 50.000 Museumsstücke. Der überwiegende Teil davon befindet sich in Archiven und Depots. Angaben darüber, dass sich 95 oder 99 Prozent aller afrikanischen Kunstgegenstände in westlichen Ländern befinden, bin ich misstrauisch gegenüber. Niemand zählt das. Weder in Afrika noch in Europa wissen Museen genau, wie viele solcher Objekte sie genau besitzen.
Viele Museen wissen nicht, wie ihre Bestände genau aussehen?
Die Kolonialzeit ist noch lange nicht aufgearbeitet. Dieser Zustand stößt mittlerweile vielen Menschen unangenehm auf. Zu wissen, was man überhaupt hat, ist ein wichtiger erster Schritt, um erkennen zu können, wie groß genau das Problem ist. Damit haben sich europäische Museen bemerkenswert lange zurückgehalten. Das hat sich mittlerweile geändert.
In ihrem Buch heißt es, deutsche Museen hätten den Ankauf von Benin-Bronzen im frühen 20. Jahrhundert als eine Art nationale Aufgabe begriffen.
Das war der Eindruck, den man damals im Vereinigten Königreich hatte. Britische Museumskuratoren waren sich über die Rivalität zwischen Angelsachsen und Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg durchaus im Klaren. Großbritannien war eine globale Macht, Deutschland holte im Eiltempo auf. Auf die Ereignisse vom Frühjahr 1897 reagierten deutsche Museen mit großem Eifer.
Felix von Luschan reiste im Auftrag des Berliner Völkerkundemuseums im August nach London und kaufte dort, was er zu fassen bekam. Er erkannte schnell, dass es sich bei diesen Objekten um etwas Besonderes handelte. Ich glaube, dass er sich deshalb auch an den deutschen Konsul in Lagos wandte. Unterstützung kam zudem von wohlhabenden Gönnern.
In Großbritannien erzeugte das Neid. Plötzlich wurden Stimmen laut, dass bei der Einnahme von Benin das Blut britischer Soldaten vergossen worden sei, und jetzt holten die Deutschen alle Benin-Bronzen. Dagegen müsse etwas getan werden, hieß es. Doch die Beute aus der Plünderung wurde zügig versteigert. Nach kurzer Zeit war alles verteilt. Die Sammlungen haben sich seither eigentlich nicht verändert. Dass wir heute über ihre Auflösung und Rückgaben sprechen, war vor fünf oder zehn Jahren so nicht absehbar.
Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Afrikanische Intellektuelle fordern sie bereits seit den späten 1960er Jahren zurück. Dass aktuell in westlichen Gesellschaften über Rückgaben und Wiedergutmachungen diskutiert wird, unterstützt ihr Anliegen. Ein Moment, der vieles ins Rollen gebracht hat, war mit Sicherheit die Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Universität von Ouagadougou 2017 in Burkina Faso. Er sagte damals sinngemäß, heutzutage sei es nicht mehr akzeptabel, dass sich so viele afrikanische Objekte in europäischen Museen befänden.
Dass ausgerechnet die Benin-Bronzen ins Zentrum der Debatte gerückt sind, hat aus meiner Sicht zwei Gründe: Zum einen sind sie wunderschön und stellen eine der beeindruckendsten kulturellen Errungenschaften Afrikas dar. Museen auf der ganzen Welt - von Seattle bis Stockholm - besitzen Exemplare. Damit sind die Benin-Bronzen an vielen Orten auf der Welt von Bedeutung. Zum anderen sind die Umstände, unter denen sie geraubt wurden, sehr gut dokumentiert. Solche militärischen Raubzüge sind meist eine recht eindeutige Sache.
Sie haben für Ihr Buch auch mit Mitgliedern der Königsfamilie von Benin gesprochen. Wie sieht das Leben am Hof heute aus?
Auch heute noch gibt es einen Königspalast in Benin-City. Er ist zwar viel kleiner, als der, der damals zerstört wurde, steht aber an gleicher Stelle. Der heutige Oba, Ewuare II., ist der Ur-Ur-Enkel von Oba Ovonramwen, der damals von den Briten vertrieben wurde. Allerdings hat sich das politische Umfeld in der Zwischenzeit deutlich verändert. Ovonramwen war ein absoluter Herrscher und für viele eine gottgleiche Erscheinung.
Heutzutage geht vom Oba nach wie vor eine enorme spirituelle Kraft aus, er ist Hüter der Tradition der Edo. Doch er repräsentiert nicht ganz Nigeria. Der Bundesstaat Edo ist einer von 36, die Volksgruppe selbst macht nur einen kleinen Teil der 200 Millionen Einwohner aus. Zudem hat der Oba politisch keine Macht. Der Bundesstaat wird von einem Governeur regiert. Das hat auch schon zu Spannungen geführt. Der heutige Oba agiert in einem viel eingeschränkterem Umfeld als seine Vorfahren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Oliver Noffke für rbb|24.
Sendung: rbb24 Abendschau, 01.07.2022, 19.30 Uhr