Steigende Gaspreise - Wie sich Brandenburger Unternehmen auf eine Eskalation der Energie-Krise vorbereiten
Am Donnerstag endeten die Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Zumindest vorläufig fließt nun wieder Erdgas aus Sibirien nach Lubmin. Brandenburger Unternehmen bringt die Energiekrise dennoch bereits an ihre Grenzen.
Seit 30 Jahren werden im Ökodorf Brodowin (Barnim) Bio-Lebensmittel erzeugt. 310 Milchkühe werden dort aktuell gehalten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzeugen pro Tag etwa 2.000 Liter Milch, die anschließend verarbeitet werden müssen - dafür braucht es viel Gas.
Die steigenden Energiepreise stürzen den Betrieb deshalb in eine massive Krise, sagt Geschäftsführer Ludolf von Maltzan. "Wir hangeln uns gerade von Krisensitzung zu Krisensitzung und haben uns mit den leitenden Mitarbeitern hier im Betrieb getroffen, um zu sehen, was wir tunkönnen", so der Ökodorf-Geschäftsführer.
Eine Möglichkeit wäre es, die Produktion voll in die Sonnenstunden zu verlegen, "sodass wir unsere Photovoltaikanlage wirklich perfekt auf die Produktion abstimmen. Das Zweite ist, dass wir den Gasverbrauch reduzieren, durch intelligente Zusammenlegung von Arbeitsprozessen in der Molkerei". Doch was heißt das konkret?
Umstellung auf alternative Energieerzeuger braucht Zeit
Der Energie-Fresser schlechthin sei die Milchflaschen-Waschstraße, sagt von Maltzan. Dort werden die Flaschen gereinigt und wandern zur nächsten Station, wo sie wieder neu aufgefüllt werden. Dieser Prozess funktioniere unter Dampf, wobei viel Gas verbraucht werde. Jetzt solle nur noch jeden zweiten Tag gewaschen werden - das spare Energie beim Hochfahren der Maschine, verkürze aber die Halbarkeit der Milch im Handel.
Langfristig möchte von Maltzan deshalb umstellen - auch aus Sorge, dass das Gas rationiert werden könnte. "Wir können unsere Dampferzeuger auf Diesel oder Flüssiggas umrüsten, aber vor allen Dingen auf elektrische Energie. Aber alle kosten Zeit." Bis die notwendigen Anlagen zur Energieumstellung angeliefert werden, ist der Hof-Chef darauf angewiesen, dass sein Betrieb sicher mit Gas beliefert wird: "Die Kühe geben Milch, die Bauern brauchen Geld und wir müssen produzieren. In einem halben Jahr hätten wir einen ganz anderen Zustand der Autarkie."
Ein Ende der Energiekrise ist nicht in Sicht - im Gegenteil. Der Gaspreis könnte sich verdoppeln, sogar verdreifachen, warnte kürzlich der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Im Mai musste das Ökodorf Brodowin bei Milch erstmals die Preise für seine Kunden erhöhen. Weitere Preissteigerungen schließt Ludolf von Maltzan nicht aus.
Ohne Gas keine Klinker-Produktion in Lichterfeld
Die unsichere Situation auf dem Gasmarkt wird auch weiter südlich in Brandenburg im Klinkerwerk Muhr in Lichterfeld (Elbe-Elster) genau beobachtet. Werksleiter Lutz Wegener hatte schon mehrere unruhige Nächte, wie er erzählt. Denn Gas sei hier die Hauptenergiequelle, täglich würden damit bis zu 60.000 Klinkersteine hergestellt. Sie brauchen Wegener zufolge fünf Tage lang 1.100 Grad, um gebrannt zu werden. Dafür ist viel Energie nötig.
Ohne Gas bleiben die Öfen kalt. "Wir benötigen im Jahr ungefähr 40 Millionen Kilowattstunden", so Wegener. "Das sind umgerechnet 3,5 Millionen Kubikmeter Erdgas." Rund 85 Prozent davon brauche allein der 135 Meter lange Tunnelofen.
"Putin ist Stratege"
"Ich habe große Angst, dass wirklich mit einem Mal Schluss ist. Ohne Gas können wir hier nichts machen. Dann müssen 55 Leute in Kurzarbeit gehen." Gasspeicher, die den Ofen für einige Tage am Laufen halten könnten, habe das Unternehmen keine. "Wenn wirklich die Leitung zugedreht wird, ist von einem Tag auf den anderen Schluss." Lutz Wegener verfolgt deshalb intensiv die Nachrichten, schaut mehrmals täglich im Internet, wie die neuesten Entwicklungen sind.
Der Werksleiter geht nach eigenen Angaben davon aus, dass Putin genau wisse, was er tue. "Der ist Stratege", so Wegener. Er rechne damit, dass der russische Präsident das Gas dosieren werde. Zunächst allerdings liefen die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 am Donnerstagmorgen wieder an. "Der wird versuchen, uns langsam verhungern zu lassen und etwas mit den Sanktionen auszuhandeln, damit er nicht zu sehr in die Enge getrieben wird." Sollte das nicht funktionieren, werde Putin den Gashahn ganz zudrehen, vermutet der Werksleiter.
Die Suche nach Alternativen
Das Unternehmen habe auch schon nach anderen Energiequellen Ausschau gehalten, sagt Wegener. Mit Wasserstoff gäbe es eine Alternative, jedoch "noch nicht so, dass man sie verwenden kann". Um zu 100 Prozent umzusteigen, müssten neue Brennanlagen gebaut werden. "Zumischen können wir bis zu 30 Prozent, ohne dass wir technisch etwas umbauen müssen."
Eine Notlösung wäre noch, den Ofen mit Sägespänen zu befeuern. Der Betrieb hat sich dazu auch schon Angebote eingeholt. Wie realistisch die Lösung ist, kann der Werksleiter im Moment nicht einschätzen. Doch so effizient und gut regulierbar wie Gas sei keine andere Energiequelle, so Wegener.
Verständnis für Rationierung
Bis jetzt ist die Situation für das Klinkerwerk nach Angaben des Werksleiters entspannt. Die Aufträge würden zwar etwas stagnieren, doch die Auftragsbücher seien bis Anfang Herbst gut gefüllt. Weil Gas teurer geworden ist, mussten laut Wegener allerdings die Preise für die Ziegel angehoben werden.
Wenn Gas wegen Engpässen rationiert werden müsste, wären Industriebetriebe wie das Klinkerwerk Lichterfeld zuerst betroffen. Wegener sagt, er hätte Verständnis dafür, das Gas auf diejenigen aufgeteilt werden würde, "die es wirklich brauchen", sagte er. "Wenn die in den Wohnungen frieren, bringt es nichts, wenn wir hier voll produzieren, und den Leuten geht es schlecht."
Sendung: Antenne Brandenburg, 20.07.2022, 16:40 Uhr
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