Weniger Baustoffe durch Ukraine-Krieg - Materialknappheit erschwert Handwerkern das Bauen
Deutschland erreichen seit Beginn des Krieges in der Ukraine immer weniger Stahl, Holz, Alumium und Erdöl. Die Folgen - wie spekulierende Lieferanten, horrende Preise und Bestellstopps für viele Produkte - sind für viele Handwerker fatal. Von Anna Bordel
Die Modelle heißen Havanna, Odenländer oder Biberschwanz und es gibt sie in Enzianblau, in Chromoxidgrün, vor allem aber in Ziegelrot: die Dachziegel. "Früher hat man sie von einem Tag auf den anderen in allen Formen und Farben bekommen. Jetzt geht das einfach nicht mehr", erzählt Dachdeckermeister Frank Schildhauer. Er betreibt ein Familienunternehmen mit sechs Beschäftigten in Potsdam-Drewitz. Vor drei bis vier Wochen seien die Produktions- und Bestellstopps von deutschen Dachziegelherstellern ausgerufen worden. "Das ist schon ein Ereignis", so Schildhauer.
Grund dafür sind die hohen Gaskosten, die das Brennen von Dachziegeln verursacht. Seit dem Beginn des Ukrainekriegs sind die Energiepreise enorm gestiegen. Dachziegel sind dabei nur einer von zahlreichen Baustoffen, die hierzulande knapp werden - Stahl, Erdölprodukte, Aluminium und Holz sind ebenfalls Materialien, die gar nicht mehr oder nur noch schwer, teuer oder in geringer Menge zu bekommen sind.
Dachziegelproduktion lohnt sich derzeit nicht
Begonnen hat die Entwicklung pandemiebedingt und durch die erhöhten Energiepreise schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Seit einigen Wochen spitzt sich die Lage in der Baubranche weiter zu. Die Lieferkosten gehen wegen erhöhter Treibstoffpreise durch die Decke, das größte Stahlwerk Europas steht in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol unter Beschuss und liefert keinen Rohstoff mehr für die deutsche Industrie. Die kann durch die erhöhten Gaspreise ohnehin nur noch erschwert produzieren.
Dachziegelhersteller müssten die Ziegel zum Beispiel unter aktuellen Preisbedingungen so teuer verkaufen, dass sie niemand mehr kaufen würde, berichtet Dachdeckermeister Schildhauer. Lieferanten verkaufen ihre Baustoffe laut Angaben des Senats oft nur noch zu Tagespreisen, da sie womöglich am nächsten Tag schon mehr dafür verlangen können.
Künstliche Materialknappheit durch Vorratskauf
Genau das sei ein Problem, meint Klaus-Dieter Müller, Chef der Baugewerks-Innung Berlin. Durch das Zurückhalten von Material durch Firmen entstehe eine Knappheit, obwohl in der Realität womöglich ausreichend Material vorhanden sei. Auch Baufirmen kauften derzeit auf Vorrat die Lagerbestände der Händler leer, "auch ohne dass sie entsprechende Aufträge haben", so Müller.
Beton werde beispielsweise ebenfalls knapp und vor allem teuer, so Müller. Das liege zum einen daran, dass Zement rar sei, weil der viel Energie braucht, um produziert zu werden. "Zum anderen wird aber auch seit Wochen propagiert, dass Kieslieferungen knapp werden. Zement muss Sand und Kies beigemischt werden, um Beton herzustellen", erklärt Müller. Und damit werde begründet, dass der Betonpreis in den letzten acht Wochen um 10 bis 20 Prozent gestiegen ist. Ob das die realen Verhältnisse sind oder von Händlern herbei erzählt, kann er nicht mit Sicherheit sagen.
Dachziegelpreise um 40 Prozent gestiegen
Für Schildhauers Dachdeckerunternehmen ist die Lage noch entspannt. Die nächsten Monate haben er und seine Kollegen vor allem mit dem Flachdach einer Industriehalle zu tun. Die dafür benötigten Kunststoffbahnen werden in den Vereinigten Staaten gefertigt und zu dem Zeitpunkt, als er sie brauchte, waren sie auch noch vorrätig. "Mittlerweile sind sie nicht mehr erhältlich. Erst im Juni oder Juli wieder. Alle kaufen jetzt das weg, was es noch gibt", meint Schildhauer und nimmt sich selbst damit nicht aus.
Auch er habe bereits Dachziegeln für die darauffolgenden Aufträge gekauft, als er merkte, wie sich die Lage entwickelt habe und ein Bestellstopp bevorstand. Momentan könne man nur noch die Ziegeln kaufen, die die Händler noch auf Lager haben, so Schildhauer, und in Polen würden auch noch günstig Dachziegel produziert, weil dort die Steuern auf Energiekosten nicht so hoch seien. In Deutschland sind die Ziegelpreise seit Herbst wegen der hohen Gaspreise bereits um etwa 40 Prozent gestiegen.
Händler beliefern vor allem Stammkunden
Innungschef Müller macht vor allem die Entwicklung der produzierenden Industrie Sorge, da dort kaum noch Metall für die Weiterverarbeitung zur Verfügung stünde. Er selber habe gar nicht gewusst, dass in Mariupol eines der größten Stahlwerke Europas steht, dass Deutschland vor Kriegsbeginn in sehr großem Umfang mit Rohstoff beliefert habe. "Jetzt fehlen beispielsweise Metallprofile für den Trockenbau oder Produkte im Sanitär- oder Elektrobereich", so Müller.
Wenn Knappheit herrsche, dann sei es für den Baustofflieferanten auch eine Frage, welchen Kunden er noch beliefert und das seien vor allem die alteingesessenen Stammkunden, "die seriös arbeiten". Als Neukunde hätte man es da momentan bei der Belieferung schwerer.
Firmen könne laufende Verträge nicht verändern
Für Bauunternehmen ist es derzeit nicht nur schwer, an Baustoffe heranzukommen, sondern auch den Kunden vorab im Vertrag eindeutige Angaben zu Materialkosten und Bauzeitraum zu machen. Für die Firmen ist es nicht möglich, einen bestehenden Vertrag an aktuelle Entwicklungen anzupassen. Schildhauer sichert sich deswegen ab, indem er Angebote für Kunden nur noch "freibleibend" macht. "Das heißt, ich gebe ein Angebot ab, das können Kunden aber nicht annehmen. Sie können nur sagen, dass sie es annehmen möchten. Wenn der Zeitpunkt der Ausführung gekommen ist, dann gucke ich, ob ich es zu diesem Preis noch machen kann. Wenn nicht, dann muss ich es anpassen und dann kann er Kunde entscheiden, ob er es annehmen möchte", erklärt er.
Müller wünscht sich für Handwerksfirmen die Möglichkeit für Firmen, während der Vertragslaufzeit Materialkosten und Laufzeit bei Bedarf anzupassen. "Als Firma kommt man ja aus so einem Vertrag nicht raus. Das heißt, alle Preiserhöhungen muss der Unternehmer schlucken", sagt er und findet das ungerecht. Dazu sei er nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine mit dem Berliner Senat und der Brandenburger Regierung im Gespräch, um sogenannte Stoffpreisklauseln einzuführen. Diese Klauseln würden den Firmen für bestimmte Materialien erlauben, die Kosten anzuheben, wenn der Marktpreis sich um einen zuvor festgesetzten Faktor erhöht hat.
Neuregelung bislang noch nicht angewendet
Der Berliner Senat hat am 13. April bestätigt, dass eine solche Stoffpreisklausel unter anderem für Stahl, Aluminium, Erdöl- und Zementprodukte sowie Holz ab sofort geltend gemacht werden kann. "Für laufende Verträge können Ausführungsfristen und Vertragslaufzeiten angepasst werden, um den aktuell gegebenen Material- und Lieferengpässen Rechnung zu tragen", heißt es in der Mitteilung. Müller hat von einer Umsetzung dieser Vereinbarung noch nichts gehört.
Es geht ihm aber vor allem auch um die bestehenden Beträge. "Dass die Verträge, die im letzten Jahr geschlossen wurden, im Nachhinein mit der Klausel versehen werden können, das wäre jetzt hilfreich", meint er. Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bestätigte, dass es noch keine Beispiele für die Umsetzung der Regelung gäbe. "Da diese Neuregelung noch nicht einmal einen Monat gültig ist, können wir für diese Anwendung noch keine Beispiele benennen", sagte Petra Rohland, stellvertretende Sprecherin des Senats für Stadtentwicklung und Bauen, und Wohnen.
Mehrere Zulieferer desselben Baustoffs
Schildhauer ist der Meinung, dass noch etwas anderes sinnvoll wäre, um die derzeitige Situation zu entspannen - und zwar ein Verbot von Spekulationen mit Rohstoffen. "Spekulationen mit Rohstoffen im großen Stil führen ja dazu, dass sich die Preissituation künstlich verschärft, obwohl die Marktlage das gar nicht erfordern würde", findet er.
Auch der Innungschef hat einen Wunsch für die langfristige Zukunft. Er habe bereits in der Ära Merkel nicht verstanden, wie man sich einseitig abhängig vom russischen Gas machen könne. "Ich bin gut beraten als Unternehmer, wenn ich mich von mehreren Lieferanten abhängig mache. Wenn ich nur einen habe, der mich beliefert und der nicht mehr kann, dann muss ich mich als neuer Kunde bei einem anderen Lieferanten hinten anstellen". Ein Verständnis für diese Handlungsweise wünscht er sich auch für die Politik.
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