Datenrecherche - Hohe Spritpreise treffen mehr als 700.000 Brandenburger Erwerbstätige
Die Spritpreise kennen im Moment nur eine Richtung: aufwärts. Darunter leiden vor allem diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind. Dabei hat es das Pendlerland Brandenburg besonders hart getroffen. Von G. Gringmuth-Dallmer und W. Bleckmann
Die Spritpreise brechen gerade täglich neue Rekorde, der Liter Diesel kostete in dieser Woche durchschnittlich fast 2,30 Euro, der Liter Super E10 knapp 2,20 Euro. Obwohl der Rohölpreis wieder gesunken ist, werden an den Handelsplätzen gerade enorme Gewinne gemacht - das spüren Fahrerinnen und Fahrer in ganz Deutschland.
In den Städten allerdings gibt es mehr Möglichgkeiten, das Auto stehen zu lassen - auf dem Land, mit einem mancherorts kümmerlichen Nahverkehr, nicht. Wieviele Arbeitspendler genau in Brandenburg von den hohen Spritpreisen betroffen sind, lässt sich nur annähernd sagen. Viele sind es definitiv.
Fast 700.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mussten zum Stichtag 30.06.2021 in Brandenburg ihren Wohnort verlassen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, fast 500.000 ihren Landkreis und gut 300.000 Menschen sogar das Bundesland. Knapp 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind statistisch betrachtet demnach Pendler, weil der Arbeitsort nicht gleich der Wohnort ist.
Das zeigen Daten der Arbeitsagentur aus dem Jahr 2021. Auf Ebene der Bundesländer belegt Brandenburg den Spitzenplatz, kein Bundesland hat einen höheren Anteil an Pendlern. Allerdings sind diese Zahlen nur bedingt miteinander vergleichbar, weil jedes Bundesland seine regionalen Besonderheiten hat.
60 Prozent nutzen den PKW auf dem Weg zur Arbeit
Wie kommen die Brandenburger:innen zur Arbeit? Laut Mikrozensus 2020 nutzen etwa 714.000 von ihnen den PKW, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Das waren etwa 60 Prozent der im Mikrozensus erfassten Erwerbstätigen. Zu diesen gehören auch Selbständige, Beamte, Berufs- und Zeitsoldaten. Die Gruppe ist somit größer als die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und die Erhebungsmethode eine andere.
Die Mikrozensusdaten zeigen auch, unabhängig vom Verkehrsmittel, wieviele Menschen welche Strecke zurücklegen müssen. Etwa ein Viertel der Erwerbstätigen muss 25 Kilometer und mehr zur Arbeit fahren.
25 Kilometer Arbeitsweg - 50 Euro Mehrkosten im Monat
Wenn 60 Prozent mit dem Auto pendeln, haben die drastisch gestiegenen Spritpreise entsprechende Auswirkungen. Im Dezember gab es einen Liter Super E10 noch für etwa 1,60 Euro [ADAC]. Vor dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine lag der Preis bereits bei etwa 1,75 Euro, zum Zeitpunkt der Recherche bei 2,25 Euro.
Die dadurch verursachten Mehrkosten, die jetzt auf Autofahrer:innen zukommen, sind enorm. Wer einen Arbeitsweg von 10 Kilometern pro Strecke hat und 21 Tage im Monat arbeitet, kommt bei 2,25 Euro pro Liter auf etwa 20 Euro höhere Spritkosten im Monat als noch im Dezember. Wer einen einfachen Arbeitsweg von 25 Kilometer zurücklegen muss, hat hin und zurück schon monatliche Mehrkosten von 50 Euro und Gesamtkosten von etwa 175 Euro. Bei 50 Kilometern sind es dann dementsprechend schon etwa 100 Euro mehr, die im Monat an der Tankstelle fällig werden.
Zum Vergleich: Eine VBB-Monatskarte für drei Landkreise kostet 148 Euro. Wer jedoch Bus und Bahn nicht nutzen kann, um zum Job und wieder zurück zu kommen, weil der Wohnort schlecht an das ÖPNV-Netz angeschlossen ist oder Arbeitszeiten nicht zu den angebotenen Verbindungen passen, ist quasi gezwungen, die hohen Spritkosten irgendwie aufzubringen.
Für unsere Berechnungen sind wir von dem vom Umweltbundesamt angegeben durchschnittlichen Verbrauch von 7,4 l auf 100 km ausgegangen.
Wo Pendler keine Pendler sind
Die Daten der Arbeitsagentur zeigen auch, wieviele sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im gesamten Bundesland, im jeweilgen Landkreis sowie den einzelnen Gemeinden als "Auspendler" gerechnet werden. Ob und wie weit diese wirklich fahren müssen, geht aus den ausgewerteten Zahlen nicht hervor.
Spitzenreiter in Brandenburg sind Potsdam und Oberhavel. Wer nun zum Beispiel in Glienicke Nordbahn (Oberhavel) wohnt und in Hermsdorf (Berlin) arbeitet, hat eventuell nur einen Arbeitsweg von ein paar hundert Metern, zählt jedoch genauso als Pendler wie jemand, der von Fürstenberg/Havel nach Berlin zur Arbeit fährt. Im Jahr 2015 waren das immerhin 169 Menschen.
Wer hingegen in Berlin-Hellersdorf lebt und in Berlin-Spandau arbeitet und einen Arbeitsweg von etwa 34 Kilometern hat, zählt nicht als Pendler, weil Wohn- und Arbeitsort (Berlin) identisch sind. Deshalb ist Berlin in unserer Region bei Pendlerdaten ein Sonderfall, weil die Stadt statistisch als eine Gemeinde betrachtet wird.
Arbeitsweg und Einkommen
Das Ausmaß der deutlich höheren Spritpreise zeigt sich besonders im Vergleich zwischen unterschiedlichen Einkommen. Geringverdiener, die auf das Auto angewiesen sind, treffen die hohen Spritpreise besonders hart, wie etwa das Protokoll der Medizinischen Fachangestellten Steffi gezeigt hat, die ihr Auto braucht, um zur Arbeit zu kommen und schon vor den letzten Preiserhöhungen kaum wusste, wie sie über den Monat kommen soll. Nicht eingerechnet in die Zahlen oben sind auch Menschen, die Wege mit dem Auto auf sich nehmen, um Angehörige zu pflegen, zum Arzt zu fahren oder notwendige Einkäufe zu erledigen.
Anhand der Bruttoangaben im Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit [arbeitsagentur.de] kann zum Beispiel für einen Friseur bzw. eine Friseurin in Brandenburg ein mittleres Nettoeinkommen von 1.146 Euro im Monat berechnet werden. Bei einem Arbeitsweg von 25 Kilometern machen die 175 Euro, welche durch die gestiegenen Spritpreise monatlich anfallen, immerhin 15 Prozent des Nettomonatsentgelts aus.
Geringverdiener besonders betroffen
Natürlich ist jede Einkommenssituation individuell. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, haben wir die Belastung bei ausgewählten Berufen auf Grundlage des statistisch belegten mittleren Monatsgehalts und der Steuerklasse 1, ohne Kinder und Kirchensteuer, berechnet.
Dabei wird deutlich: Die Preiserhöhung für Sprit betrifft jeden Pendler, aber die daraus resultierende Belastung ist wie zu erwarten für Geringverdiener um einiges größer. Für Hochschulprofessor/-innen oder Ärzt/-innen macht die Erhöhung von 1,60 Euro auf 2,25 Euro pro Liter eine Steigerung von vorher vier auf jetzt fünf bzw. sechs Prozent des Nettomonatseinkommens aus. Für oben genannte Friseur/-innen oder Restaurantfachmänner und -frauen ist es ein Anstieg um vier Prozentpunkte.
In Brandenburg gilt immerhin fast jeder dritte Vollzeitbeschäftigte als Geringverdiener mit einem Einkommen von weniger als 2.284 Euro brutto oder, so berechnet wie oben, 1.602 Euro netto im Monat.
Wer sowieso schon unterdurchschnittlich verdient und vielleicht noch weitere Strecken fahren muss, hat oft auch keine Rücklagen, um die Preissteigerungen auszugleichen. Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg hat zuletzt 2018 die Sparquote privater Haushalte in Brandenburg berechnet. Diese gibt an, wieviel Prozent des Nettoeinkommens nach Abzug aller Ausgaben noch für Ersparnisse übrig bleibt. Gerade bei Haushalten mit einem geringen monatlichen Nettoeinkommen liegt diese Quote im negativen Bereich. Bedeutet: Es gibt keine Spareinlagen, auf die zurückgegriffen werden kann.
Mitarbeit: Sebastian Schneider
Sendung: Inforadio, 17.03.22, 06:15 Uhr