Kohleausstieg wird in der Lausitz neu bewertet - Abschalten oder lieber überdenken?

Di 08.03.22 | 17:43 Uhr | Von Dirk Schneider
Die Schornsteine des Kraftwerks Jänschwalde stoßen weißen Rauch aus.
Audio: Antenne Brandenburg|08.03.2022|Dirk Schneider | Bild: rbb/Wiesner

Seit Beginn des Ukraine-Krieges ist in Deutschland die Frage der sicheren Stromversorgung wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Die Debatte nach mehr Unabhängigkeit von Öl-, Gas- und Kohleimporten aus Russland wird in der Lausitz besonders intensiv verfolgt. Von Dirk Schneider

Ein Ausstieg aus der Braunkohle ist bereits beschlossen worden. Für das Jahr 2038 ist er gemäß "Kohleverstromungsbeendigungsgesetz" geplant, die neue Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag sogar "idealerweise" auf einen Ausstieg bereit im Jahr 2030 geeinigt. Aber wie ist es vor dem Hintergrund des Einmarschs des russischen Militärs in die Ukraine jetzt um die deutschen Kohlekraftwerke bestellt? In der Lausitz wird die Debatte besonders intensiv verfolgt.

Bereitschaft der Kraftwerksblöcke sehr aufwändig

Das Kraftwerk Jänschwalde (Spree-Neiße) soll 2028 endgültig abgeschaltet werden. Schon jetzt sind zwei der sechs Blöcke nur noch in Bereitschaft, nicht mehr am Netz. Im Falle des Falles sollen sie innerhalb von zehn Tagen wieder Strom liefern können. Das ist allerdings mit hohem Aufwand verbunden, sagt Kraftwerksleiter Andreas Thiem: "Das Kraftwerk so am Leben zu erhalten, dass man es dann in zehn Tagen wieder anfahren klann, verursacht auch unterjährig enorme Kosten, zusätzlich natürlich das Personal, das wir bereithalten müssen." Bereits die Überwachung von laufenden Prozessen, wie Öl- und Kühlsysteme, die noch in Betrieb sind, koste Personal, so Thiem.

Dafür hat der Kraftwerksbetreiber LEAG Geld vom Bund bekommen. Im Oktober dieses Jahres wird der erste Block endgültig stillgelegt. So steht es im Kohleausstiegsgesetz. Eine Wiederinbetriebnahme wäre dann laut Thiem theoretisch immer noch möglich, wenn auch schwierig. "Wir sind Ingenieure, wir sind Techniker. Wir können alles, aber das kostet dann halt Geld", sagt der Werksleiter

Das Innere des Kraftwerksblocks Jänschwalde, der in Sicherheitsbereitschaft ist.
Kraftwerksblock in Sicherheitsbereitschaft. | Bild: rbb/Wiesner

Wissenschaftler rät, Abschaltung zu überdenken

Experten wie Felix Müsgens plädieren dafür, in dieser neuen Situation darüber nachzudenken, die Sicherheitsbereitschaft zu verlängern. Der Wissenschaftler ist Inhaber des Lehrstuhls für Enegiewirtschaft an der BTU Cottbus-Senftenberg. Die Abschaltung des Blocks F in Jänschwalde, der zum 1. Oktober dieses Jahres geplant ist, "sollte man auf jeden Fall überdenken", so der Wissenschaftler.

Auch die Kohle-Ausstiegszenarien für die Jahre 2030 oder 2038 sollten ohne Denkverbote geprüft werden. Infrage stellen will Müsgens den Ausstieg als solchen aber noch nicht. Aus seiner Sicht ist jetzt der Blick auf den kommenden Winter wichtig. Im Moment stehe im Raum, dass im Winter kein russisches Erdgas nach Deutschland und Europa geliefert werde. "Wenn dieser Fall eintritt, dann würden wir hier wirklich vor einer sehr, sehr großen Herausforderung stehen", sagt Müsgens.

Rund die Hälfte deutscher Erdgaslieferungen kommen aus Russland

Rund die Hälfte der deutschen Erdgaslieferungen kommt derzeit aus Russland, sagt Müsgens. Auf europäischer Ebene sei es ungefähr ein Drittel. Stand heute kommt weiterhin russisches Gas in Deutschland an. Gesetzt den Fall, es gäbe seitens Deutschland weitere Sanktionen und man würde kein russisches Erdgas, keine russische Kohle und auch kein russisches Öl mehr importieren oder aber von russischer Seite würde entschieden, die Lieferungen einzustellen, müsste das halbe Volumen des Erdgases, das in Deutschland verbraucht wird, kompensiert werden.

Hier hält Felix Müsgens drei Alternativen für möglich. Erstens könne Gas aus anderen Ländern importiert werden. Zweiten könne Gas durch andere Energiequellen, wie zum Beispiel auch Kohle, ersetzt werden. Und drittens bleibe die Möglichkeit, den Verbrauch zu senken.

Sendung: Antenne Brandenburg, 08.03.2022, 16:40 Uhr

Beitrag von Dirk Schneider

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