Interview | Gefahr der Corona-Variante Omikron - "Die Sorge ist, dass unsere Infrastruktur zusammenbricht"
Die Omikron-Variante hat sich in einigen Ländern sprunghaft verbreitet. Für Deutschland erwartet ein Expertenrat eine ähnliche Entwicklung. Die Cottbuser Mikrobiologin Heidrun Peltroche warnt vor gravierenden gesellschaftlichen Folgen.
Das Robert-Koch-Institut hat seine Risikobewertung wegen der Omikron-Variante des Coronavirus' verschärft. Auch für zweifach Geimpfte und Genesene wird die Gefahr einer Ansteckung jetzt als hoch angesehen. Für Geimpfte mit einer Auffrischungsimpfung - dem sogenannten Booster - schätzt das RKI das Risiko als "moderat" ein. Für Ungeimpfte bleibe die Ansteckungsgefahr "sehr hoch".
In den USA ist die Omikron-Variante inzwischen die vorherrschende. Mehr als 70 Prozent der Neuansteckungen sind laut US-Seuchenbehörde auf sie zurückzuführen. Noch vor einer Woche waren es zwölf Prozent. Der Expertenrat erwartet für Deutschland eine ähnliche Entwicklung. Bund und Länder beraten am Dienstag über strengere Corona-Regeln.
Die Cottbuser Mikrobiologin Heidrun Peltroche erklärt, warum eine Omikron-Welle deutlich schlimmere Folgen haben könnte, als der Anstieg der Fälle durch die Delta-Variant.
rbb|24: Frau Peltroche, für Deutschland sind unter anderem strengere Kontaktbeschränkungen im Gespräch. Ist das Ihrer Ansicht nach der richtige Weg? Was hilft gegen die Omikron-Variante?
Heidrun Peltroche: Wir haben bisher in Deutschland noch nicht so viele Fälle. Wenn man sich anschaut, was exponentielles Wachstum eigentlich bedeutet, dann heißt das, es gibt erstmal ganz wenige Fälle, die also nicht sichtbar sind. Dann kommt relativ schnell in ganz kurzer Zeit eine ganz steile Wand nach oben. So haben wir das in England, Dänemark und natürlich in Südafrika gesehen.
Wenn man jetzt in diesem Moment - in dem wir noch nicht diese massive Verbreitung mit der schnellen Verdopplungszeit und den vielen Fällen haben - wenn man in diesem Moment Kontaktbeschränkung steigern würde, könnte man diesen Zeitablauf, bis wir vor dieser Wand von Omikron-Fällen stehen, vielleicht verzögern. Insofern denke ich, dass das tatsächlich sinnvoll ist. Man muss handeln, bevor man das Drama sieht.
Wie sollten wir uns jetzt über die Weihnachtsfeiertage verhalten?
Das, was wir tun, sollten wir auf jeden Fall beibehalten. Hier in Cottbus ist der Weihnachtsmarkt abgebaut worden, was traurig war, aber sicherlich hilfreich. Es kann auch sicherlich nicht gut sein, wenn 4.000 Menschen durch die Straßen ziehen und keine Atemschutzmasken tragen und keinen Abstand einhalten.
Wenn wir uns treffen, aber im kleinen Kreis und im Familienkreis, ist das sicherlich sinnvoll. Und wenn man nicht verreist, ist das auch mal ein Opfer, das man bringen muss. Und wenn man in Geschäfte geht und da die 2G-Regel akzeptiert, ist das auch nochmal eine Sicherheitsstufe. Ich denke, wenn wir all das täten, von dem wir wissen, dass es hilft, könnte man sicherlich Zeit gewinnen. Und in der Zeit kann man ja dann impfen, impfen, impfen.
Apropos Impfen. Es wird kräftig zum Boostern aufgerufen, aber es scheint noch nicht klar zu sein, ob die Impfstoffe gegen die Omikron-Variante helfen. Sollte man noch warten, bis passende Impfstoffe da sind?
Um Gottes willen - bloß nicht warten. Um das nochmal zu sagen: Das, was uns bevorsteht, ist eine derart rapide, sich schnell verbreitende Virusvariante. Alles was wir tun können, sollten wir tun. Es ist nicht richtig, dass die Impfstoffe nicht schützen. Sie schützen statistisch gesehen nur nicht mehr in so hohem Ausmaß. Statt 95 Prozent Schutzwahrscheinlichkeit für den Einzelnen sinkt das bei den mRNA-Impfstoffen auf 75 Prozent gegen Omikron. Das ist immer noch eine gute Schutzwirkung. Das hilft auch immer noch die Virus-Verbreitung zu verlangsamen. Darum geht es eigentlich im Moment.
Es fühlt sich gerade ein bisschen so an, wie damals, als die ersten Delta-Varianten-Fälle aufgetreten sind. Wird jetzt Omikron die vorherrschende Variante?
Es fühlt sich für mich nicht wie damals bei Delta an, sondern schlimmer. Das mit der Delta-Variante habe ich persönlich noch relativ gelassen hingenommen, weil wir Schutzmaßnahmen haben, die auch gut sind. Aber jetzt mit dieser Omikron-Variante wird es viel, viel schneller gehen - dieses schlagartige Krankwerden in der Bevölkerung, also noch mehr auf einen Schlag ins Krankenhaus, noch mehr Menschen, die nicht arbeiten können. Unsere ganze Infrastruktur - die Sorge ist, dass das alles zusammenbricht.
Es geht in diesem Fall nicht nur darum, ob Menschen versterben, sondern auch darum, ob unsere Gesellschaft noch funktioniert. Es geht auch nicht nur darum, die Schutzwirkung für den Einzelnen zu erzielen, sondern tatsächlich die Virusverbreitung - also die Menge des Virus - zurückzudrängen, damit wir als Gesellschaft noch funktionsfähig sein können. Das wird schlimmer werden als Delta.
Sie untersuchen im Cottbuser Carl-Thiem Klinikum in einem Referenzlabor Mutationen des Coronavirus'. Wird jede positive Corona-Probe auf Virusvarianten untersucht oder werden Stichproben gemacht?
Diese Proben müssen eine gewisse Virusmenge haben. Wir reden dabei immer vom CT-Wert, das ist der "cycle of threshold". Er ist entscheidend, ob man eine Variante sequenzieren kann und ob man die vorher in eine Such-PCR setzen kann. Wir machen das im Moment mit Proben, bei denen die Virusmenge so bei 26 "cycle of threshold" liegt.
Wir nehmen immer alle, die wir nehmen können. Aber alle Positiven können wir nicht nehmen, so muss man das verstehen. Täglich durchlaufen um die 50, 55 Proben einen Suchalgorithmus, mit Punkt-Mutations-PCRs. Heute schrieb mir einer, dass es wieder einen Verdacht gab. Dann wird sequenziert und das dauert dann doch noch mal zwei, drei Tage, bis man sich das ganze Genom genau angeguckt hat.
Frau Peltroche, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Florian Ludwig für Antenne Brandenburg. Der Text ist eine redigierte Fassung.
Sendung: Antenne Brandenburg, 21.12.2021, 08:30 Uhr