Klima-Initiative contra Senat - Kann Berlin in sieben Jahren klimaneutral werden?

Di 13.12.22 | 14:35 Uhr | Von Dorit Knieling und Jan Menzel
Video: rbb24 Abendschau | 13.12.2022 | D. Knieling | Bild: dpa

Mit 180.000 gültigen Unterschriften haben die Klimaaktivisten den Weg für den Volksentscheid frei gemacht. Sollte der erfolgreich sein, müssten Gesetze verschärft werden. Doch der Senat warnt: Mit ehrgeizigen Zielen ist es nicht getan. Von Dorit Knieling und Jan Menzel

  • Initiatoren wollen Berlin bis 2030 klimaneutral gestalten, Senat hält das für unrealistisch und peilt eher 2045 an.
  • Volksentscheid ist laut Senat praktisch nicht umsetzbar.
  • In einigen Punkten herrscht aber auch Einigkeit zwischen Senat und Initiative, z.B. bei Kohleausstieg bis 2030 oder Klimaneutralität des öffentlichen Fahrzugpools.

Um die Inhalte des vorgelegten Gesetzes ging es zuletzt kaum noch. Dafür wurde umso heftiger über den Termin der Abstimmung gestritten. Die Initiative "Klimaneustart Berlin" sowie Grüne und Linke wollten am liebsten, dass der Volksentscheid zusammen mit der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus am 12. Februar 2023 stattfindet.

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, die SPD-geführte Innenverwaltung und Landeswahlleiter Stephan Bröchler lehnten das als organisatorisch nicht machbar und zu riskant ab. Nun haben sie den 26. März als Abstimmungs-Termin beschlossen, was vorher schon aus den Senatsstuben zu hören war.

Für den Volksentscheid haben die Klima-Aktivisten zahlreiche Gesetzesänderungen erarbeitet. Damit soll das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG) an einigen wenigen, aber sehr zentralen Punkten verschärft werden. Dreh- und Angelpunkt der Initiative sind die konkreten Jahreszahlen und Vorgaben für die Klimaschutzziele.

2030 versus 2045

Kurz gesagt wollen sowohl der Senat als auch die Initiative die Stadt klimaneutral machen. Letztere fordert aber deutlich mehr Tempo. Schon 2030 - also in nur noch sieben Jahren - soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 95 Prozent unter dem Wert des Ausgangsjahres 1990 liegen. Der Senat hält diese Vorgabe aus mehreren Gründen für unrealistisch und stützt sich auf eine von ihm in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie "Berlin Paris-konform machen" [berlin.de].

Die Autoren der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass Berlin auch zukünftig rund die Hälfte seines Stroms importieren muss. Damit hänge die Stadt ganz maßgeblich davon ab, wie der Ausbau von Windenergie und anderen erneuerbaren Energiequellen im Bundesgebiet vorankomme. Klimaneutralität - das ist die umgangssprachliche Bezeichnung für die Reduktion von CO2-Emissionen um mindestens 95 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 - sei für Berlin daher erst in den 2040er Jahren möglich. "Eine deutlich frühere Zielerreichung ist dagegen unwahrscheinlich", schreiben die Wissenschaftler - eben auch weil Berlin keinen Einfluss auf Stromerzeuger jenseits der Stadtgrenzen hat.

Handwerkermangel und Energiewende

Ein weiteres Argument des Senats gegen den Volksentscheid ist die praktische Umsetzung der Klimaschutzvorhaben. Allein die energetische Sanierung hunderter öffentlicher Gebäude von Verwaltungsbauten, über Feuerwachen bis hin zu Polizei-Stationen sei nicht so schnell zu stemmen. Dafür würden mehr Handwerker gebraucht als es derzeit gebe. Die Initiatoren von "Klimaneustart Berlin" halten das für ein vorgeschobenes Argument. Der Senat hätte viel früher auf den lange sichtbaren Fachkräftemangel reagieren können, sagen sie.

Auseinander liegen Senat und Aktivisten auch in der rechtlichen Bewertung und in der Einschätzung des technischen Fortschritts. Wann genau grüner und damit CO2-neutraler Wasserstoff in ausreichender Menge verfügbar sei, könne das kleine Bundesland Berlin kaum steuern, schreibt die zuständige Umweltverwaltung. Diese Frage werde stattdessen im internationalen Maßstab geklärt.

Grüner Wasserstoff ist aber nach Auffassung vieler Expert:innen die Voraussetzung für klimaneutrale Fernwärme. Zudem sehen die Senatsjuristen beträchtliche rechtliche Hürden: Berlin könne nicht einfach mit Beginn des Jahres 2030 Öl- und Gasheizungen oder ähnlich klimaschädliche Anlagen verbieten, solange Bundes- oder Europarecht deren Betrieb erlaube.

Solarpflicht gilt ab nächstem Jahr

Verschärfen will die Initiative die Vorgaben im Gebäudesektor. Im Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz ist bislang eher vage die Rede davon, dass auf und in öffentlichen Gebäuden vermehrt erneuerbare Energie erzeugt und genutzt werden sollen. Bei einem erfolgreichen Volksentscheid müsste das Land künftig "alle erforderlichen Schritte" unternehmen, um den Anteil der Erneuerbaren zu erhöhen.

Für private Eigentümer von Gebäuden würde diese Vorgabe ebenfalls gelten, wobei die praktischen Folgen überschaubar bleiben dürften. Denn mit dem Berliner Solargesetz treten in der Wirkung recht ähnliche Regelungen ohnehin zum 1. Januar 2023 in Kraft. So müssen Neubauten in Berlin künftig verpflichtend mit Photovoltaikanlagen ausgestattet sein. Bei Bestandsbauten greift die Solarpflicht, sobald Dächer umfassend erneuert werden.

Klimaschutz nicht zum Nulltarif

In finanzieller Hinsicht würden die Vorgaben des Volksentscheids aber weit über alles hinausgehen, was bislang klimapolitisch in Berlin beschlossen wurde. Insbesondere die Kosten für die energetische Sanierung aller Gebäude wären immens und könnten zu schweren sozialen Verwerfungen führen. Deshalb will die Initiative "Klimaneustart Berlin" Mieterinnen und Mieter um den Betrag entlasten, den ihre Nettowarmmieten als Folge der Klimaschutzmaßnahmen steigen. Ein "monatlicher Zuschuss" soll dafür aus dem Landeshaushalt gezahlt werden.

Welche Gesamtkosten damit für die öffentliche Hand anfallen würden, lässt sich bestenfalls näherungsweise bestimmen. Die Umweltverwaltung schreibt in einer Stellungnahme an das Abgeordnetenhaus: "Nach konservativer Schätzung muss für die Erreichung der Klimaneutralität in Berlin bis 2030 mit gesamtwirtschaftlichen Investitionskosten mindestens in hoher zweistelliger Milliardenhöhe gerechnet werden."

Koalitionspolitiker - auch der Grünen - warnen davor, dass dieses Geld an anderer Stelle für soziale Zwecke, Kultur und Bildung fehlen würde. Zumal Berlin schon 66 Milliarden Euro Schulden angehäuft hat.

Die Initiatoren machen dagegen eine andere Rechnung auf. Wenn jetzt nicht entschieden umgesteuert werde, räche sich das in einigen Jahren. Zunehmende Hitzewellen würden zu einer höheren Sterblichkeit und mehr Krankheiten führen, wodurch die Produktivität der Berliner Bevölkerung sinken könnte.

Naturkatastrophen und Extremereignisse hätten zudem beträchtliche wirtschaftliche Folgekosten, die deutlich über den Kosten liegen würden, die aktuell in den Klimaschutz investiert werden müssten.

Kohleausstieg im Konsens

Einig sind sich Senat und Aktivisten allerdings in einigen anderen Punkten. So soll der öffentliche Fahrzeugpool - soweit das technisch möglich ist - in Zukunft klimaneutral unterwegs sein. Das betrifft zum Beispiel die BVG-Busse. Das Unternehmen will seine Busflotte bis 2030 komplett auf Elektroantrieb umgestellt haben. Auch die meisten Senatorinnen und Senatoren haben inzwischen Limousinen mit Elektroantrieb.

Die Berliner Feuerwehr testet bereits ein vollelektrisches Löschfahrzeug. Bei der Stadtreinigung BSR fahren mehr als 150 Müllfahrzeuge umweltfreundlich mit Biogas. Und auch beim beschlossenen Ausstieg aus der Steinkohle bis 2030 sind Senat und Initiative auf einer Linie.

Wobei die Aktivisten sprachlich mehr Verbindlichkeit einfordern. Statt von Zielen beim Klimaschutz wollen sie "Verpflichtungen" im Gesetz verankern. Wo der Senat Vorgaben erreichen möchte, wollen die Klimaaktivisten diese "erfüllt" sehen. Und wenn sich der Senat bei seiner Klimaschutzpolitik darauf konzentriert, Kohlendioxid zu reduzieren, machen die Klimaschützer deutlich, dass es ihnen um alle Treibhausgase also auch Methan oder Distickstoffoxid geht.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.12.2022, 08:30 Uhr

 

Die Kommentarfunktion wurde am 13.12.2022 um 17:32 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Dorit Knieling und Jan Menzel

Nächster Artikel