Kommentar | Landtagswahl Brandenburg - Verliert keine Zeit - es steht zu viel auf dem Spiel!
Eine abgewählte rot-rote Regierung, Wechselstimmung im Land - und dennoch darf Ministerpräsident Dietmar Woidke wohl wieder eine Koalition bilden. Doch das wird schwierig - und eilt zugleich. Ein Kommentar von Thomas Bittner
Die Brandenburger SPD atmet auf. Im Endspurt hat sie das Kopf-an-Kopf-Rennen gegen die AfD gewonnen. Aber es war nicht das Angebot der Sozialdemokraten, das die märkischen Wähler am Ende überzeugt hat. Es war die Vernunft der Brandenburgerinnen und Brandenburger, die es nicht zulassen wollten, dass ihr Land am Tag nach der Wahl mit einem Stigma aufwacht.
Eigentlich wollten die Brandenburger keine Regierung mehr, die nach 29 Jahren wieder von der SPD angeführt wird. Es sollte einen Wechsel geben. Doch als klar wurde, dass der Niedergang der SPD den Aufstieg der nationalkonservativen Alternative zur stärksten politischen Kraft besiegeln würde, besannen sich viele.
Eine neue etablierte ostdeutsche Regionalpartei
Vier von fünf Wählern haben bewusst ein Zeichen gegen die AfD gesetzt - und die SPD vor dem Verlust der Macht bewahrt. Als Spender für die Wählerströme hin zur SPD mussten Linke, CDU und Grüne ihre Hoffnungen fahren lassen. Die Strategie von Ingo Senftleben, dem Spitzenmann der glücklosen märkischen CDU, den Wahlkampf auf einen Zweikampf zwischen ihm und Woidke zulaufen zu lassen, ist grandios gescheitert. Der Anspruch der Grünen, vielleicht sogar die Ministerpräsidentin stellen zu können, erweist sich im Nachhinein als anmaßende Fehleinschätzung. Und der verzweifelte Versuch der Linken, sich als Stimme des Ostens in Erinnerung zu bringen, ging schief. Jetzt gilt eine andere Kraft als etablierte ostdeutsche Regionalpartei.
Jede Abstimmung wird zur Schicksalsfrage
Nun ist die SPD zwar wieder stärkste Kraft, aber fürs Regieren stehen ihr nur Partner zur Verfügung, die sich erst einmal sortieren müssen. Ein teuer erkaufter Sieg der Demokraten: Dass Brandenburg in den nächsten fünf Jahren besser regiert werden kann als mit den Bündnissen der Vergangenheit, ist kaum zu erwarten. Rot-Rot-Grün könnte nur mit einer hauchdünnen Mehrheit regieren. Keiner darf ausscheren. Mit einem solchen Bündnis wird jede Abstimmung im Landtag zur Schicksalsfrage der Koalition. Wie will man die großen Zukunftsfragen der Region in einer solchen Konstellation überzeugend beantworten? Wo hat die Berliner R2G-Rathaus-WG bewiesen, dass sie mit guten Konzepten Vertrauen schaffen kann?
Und die Kenia-Koalition Rot-Schwarz-Grün? Sollte Dietmar Woidke als Chef einer abgewählten Regierung mit den beiden bisherigen Oppositionsparteien CDU und Grüne eine Koalition bilden, wird er kaum überzeugend durchstarten können. War es nicht Ingo Senftleben, der eine Koalition mit Woidke ausgeschlossen hat, am Wahlabend aber plötzlich versöhnlichere Töne anschlug? Und müsste die SPD nicht die mühsam errungenen Kompromisse der Kohlekommission infrage stellen, um den Grünen entgegenzukommen?
Dreierkoalitionen sind Zweckbündnisse auf Zeit, keine Zukunftsprojekte. Genau das wird den Regierenden der jetzt gestarteten Wahlperiode das Leben erschweren. Nächtelang erstrittene Vereinbarungen werden schwer zu erklären sein. Vor jeder Auseinandersetzung im Parlament steht eine aufwändige Kompromisssuche unter den Koalitionären.
Nicht viel Zeit fürs Wundenlecken
Neun von zehn Brandenburgern erwarten, dass die Politik mehr tut, um die Lebensbedingungen in ihrer Region zu verbessern: Mehr Regionalverkehr. Bessere Ärzteversorgung. Eine gesunde Natur. Polizei vor Ort, wenn man sie braucht. Wenn die Menschen spüren, dass die Politiker sich darum erfolgreich kümmern, wächst auch wieder Vertrauen.
Brandenburgs Parteispitzen haben jetzt nicht viel Zeit fürs Wundenlecken. Bis Weihnachten muss eine Koalition stehen. Oder es wird Neuwahlen geben. Das sieht die Verfassung vor. Verliert keine Zeit - es steht zuviel auf dem Spiel!