Koalitionsgespräche in Brandenburg - SPD und Grüne machen es mit der CDU
Knapp drei Wochen nach der Landtagswahl in Brandenburg streben SPD, CDU und Grüne eine sogenannte Kenia-Koalition an. Die Gespräche dazu sollen am Montag beginnen. Er habe noch nie so detaillierte Sondierungen erlebt, sagte SPD-Chef Woidke am Donnerstag.
SPD, CDU und Bündnis90/Die Grünen werden ab dem kommenden Montag über die Bildung einer sogenannten Kenia-Koalition verhandeln. Das ist das Ergebnis der Sondierungsgespräche, die die drei Parteien seit zwei Wochen untereinander, aber auch mit den Linken geführt hatten.
"In so einer Detailtiefe haben wir noch niemals sondiert", sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke, Parteichef der Brandenburger SPD. Unzumutbare Zugeständnisse habe die SPD nicht machen müssen. "Es gibt eigentlich keinen Punkt, mit dem ich nicht leben kann - sonst würde ich jetzt hier nicht sitzen", so Woidke am Donnerstagabend vor Journalisten auf der Landespressekonferenz in Potsdam.
Es sei richtig gewesen, "diese circa 60 Stunden in die Sondierungen zu stecken, weil diese ‘Detailtiefe natürlich bedeutet, dass grundlegende Fragen, die unsere Parteien ja auch unterscheiden, so geklärt werden konnten, dass wir auch Koalitionsverhandlungen entgegensehen können, die dann mit einem Koalitionsvertrag aller drei Parteien enden können", führte Woidke weiter aus.
Woidke: Mehrheitsverhältnisse haben eine Rolle gespielt
Am Ende, so der SPD-Chef, habe aber auch die "Koalitionsarithmetik" eine Rolle gespielt, denn eine Landesregierung müsse "vor allem Stabilität und Sicherheit bieten". Mit nur einer Stimme Mehrheit, die ein rot-grün-rotes Bündnis gehabt hätte, sei dies nicht zu erreichen gewesen - vor allem nicht angesichts der künftigen Herausforderungen. Dagegen habe Rot-Schwarz-Grün im Brandenburger Landtag eine Mehrheit von sechs Stimmen.
"Kenia" biete die Chance, "dieses Land weiterzuentwickeln, weiter zusammenzurücken und zusammenzuhalten", sagte Woidke am Abend dem rbb. Der SPD-Vorstand habe die Entscheidung für Koalitionsgespräche mit CDU und Grünen mit nur einer Gegenstimme angenommen. Gleichzeitig bedankte sich der Regierungschef bei den Linken für eine zehn Jahre dauernde "verlässliche, vertrauensvolle und gute Regierungsarbeit". Auch künftig wolle er gemeinsam mit den Linken "an diesem Land arbeiten".
Stübgen: "Ich kann jeden Satz unterschreiben"
Auch die Landesspitzen von CDU und Grünen hatten am Donnerstag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen in einer Kenia-Konstellation beraten. Sogenannte Kröten habe die CDU nicht schlucken müssen, sagte CDU-Verhandlungsführer Michael Stübgen. Er könne jeden Satz des zehnseitigen Sondierungspapiers unterschreiben, "hätte aber nicht jeden Satz selber so geschrieben”, sagte Stübgen, der nur wenige Tage nach der Landtagswahl Ingo Senftleben als CDU-Landeschef abgelöst hatte."Wir mussten Kompromisse eingehen", führte Stübgen weiter aus - doch auch die Positionen der der Grünen, "die wir so übernommen haben, sind nicht so, dass sie für uns nicht akzeptabel sind".
Nonnemacher: "Präferiertes Bündnis nicht durchgesetzt"
Die Verhandlungsführerin der Grünen, Fraktionschefin Ursula Nonnemacher, machte keinen Hehl daraus, dass sie lieber mit SPD und Linken koaliert hätte: "Wir konnten das von uns präferierte Bündnis so nicht durchsetzen, wir sind aber auch der Meinung, dass wir auch in der anderen Konstellation sehr gute Sondierungsergebnisse erzielt haben", sagte Nonnemacher auf der Dreier-Pressekonferenz am Abend. Zugleich betonte sie, dass die Sondierungsgespräche von einer großen Kompromissbereitschaft bestimmt gewesen seien.
"Wir leben im Augenblick in Zeiten, in denen der Kompromiss nicht gut genug gewürdigt wird", sagte Nonnemacher. "Der Kompromiss, so heißt es, ist immer Verrat an der eigenen Linie, das ist keine gute Einstellung.” Der Landesparteirat habe sich mit 13:3 Stimmen für die Aufnahmen von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. Am Samstag müsse nun noch ein Kleiner Parteitag seine Zustimmung geben.
Sondierungspapier legt Eckpunkte fest
"Enger, vertrauensvoll und konstruktiv" wollen SPD, CDU und Grüne zusammenarbeiten - falls es tatsächlich zu einer gemeinsamen Regierungskoalition in Brandenburg kommt. Eckpunkte für die anstehenden Koalitonsverhandlungen wurden in einem Papier fixiert, das dem rbb in einer Fassung vom späten Nachmittag vorliegt.
Bei erfolgreichen Verhandlungen würde Brandenburg erstmals eine rot-schwarz-grüne Koalition bekommen. In Deutschland wäre eine solche Koalition derzeit die einzige auf Länderebene aus SPD, CDU und Grünen mit der SPD als stärkster Partei. Bisher gibt es nur in Sachsen-Anhalt ein sogenanntes Kenia-Bündnis, allerdings unter Führung der CDU.
Grüne setzen sich beim Klimaschutz durch
Für die Grünen betonte Nonnemacher, dass wichtige Ziele des Klimaschutzes im Sondierungspapier festgeschrieben seien. Ebenso wichtig sei, dass es in Brandenburg keine neuen Tagebaue mehr geben werde: "Das war unsere ‘rote Linie’: keine neuen Tagebaue, keine Tagebauerweiterungen und dass keine Umsiedlung auch nur eines einzigen brandenburgischen Dorfes mehr stattfinden wird", sagte Nonnemacher. "Das ist in das Sondierungseckpapier eingegangen, und wir uns als Bündnis90/Die Grünen einig, dass dies auch in Koalitionsverhandlungen selbstverständlich gilt.”
Dem Papier zufolge haben die Bündnisgrünen durchgesetzt, dass der Kohleausstieg nach Möglichkeit bis zum Jahr 2035 abgeschlossen sein soll, die Parteien halten sich dabei an das Ergebnis der Kohlekommission. In der Landwirtschaft werden Obergrenzen für Tierställe angestrebt. Die Inklusion – das gemeinsame Lernen bis zur zehnten Klasse – will eine mögliche Kenia-Koalition ausbauen.
Ein Zeitplan für die Beitragsfreiheit der Kitas soll demnach erarbeitet werden - gleichzeitig wird eine verbesserte Betreuung angestrebt. Auch ein 365-Euro-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr werde geprüft, sagten Woidke, Stübgen und Nonnemacher übereinstimmend.
Kein neues Polizei- oder Verfassungsschutzgesetz
Die CDU hat durchgesetzt, dass bestehende Windräder mehr Leistung erhalten, bevor neue aufgestellt werden. Außerdem sollen Handwerk und Mittelstand von Bürokratie entlastet werden. Die drei Parteien verständigten sich auch darauf, die Zahl der Polizisten von über 8.000 auf 8.500 Stellen aufzustocken - darauf hatten CDU und SPD gedrungen. Ein neues Polizei- oder Verfassungsschutzgesetz soll es in der kommenden Legislatiurperiode allerdings explizit nicht geben.
Ein Streitpunkt in den Sondierungsgesprächen war auch die Frage nach einem Abschiebegefängnis. Laut den Sondierungsvereinbarungen soll Abschiebung nur ultima ratio sein und zunächst die Zusammenarbeit mit Berlin genutzt werden. Abgelehnte Asylbewerber will man zur freiwilligen Ausreise bewegen, auf ein eigenes Abschiebegefängnis aber vorerst verzichten. Eine Abschiebehaft, so sagte SPD-Chef Woidke, müsse es weiter geben. Die drei Partner seien sich aber einig, "dass wir dann auf die Potenziale anderer Bundesländer zurückgreifen - das machen wir übrigens im Augenblick nicht anders".
Erste Kenia-Koalition unter Führung der SPD
Aus Kreisen der Linken hieß es am Donnerstag: "Brandenburg braucht eine starke und gute Opposition." Die Linke-Landesvorsitzende Anja Mayer sagte dem rbb, Brandenburg müsse ein "soziales, weltoffenes und ökologisches" Land sein. Nun werde man sehen müssen, ob die Koalition aus SPD, CDU und Grünen das schaffe, "oder ob Brandenburg im Stillstand endet".
Die SPD von Woidke war bei der Landtagswahl am 1. September trotz Einbußen stärkste Partei vor der AfD geworden, die stark hinzugewann im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren. Auch die Grünen legten zu, während die Linke und die CDU deutliche Verluste einfuhren. Die Kenia-Koalition wird wegen der Farben der Flagge des afrikanischen Landes so genannt - nun aber mit Rot als erster Partei.
Verhaltene Reaktionen in der Wirtschaft und bei Verdi
Unterdessen hat die Brandenburger Wirtschaft eine schnelle Regierungsbildung angemahnt. "Eine mutige Landesführung muss konkrete Lösungsansätze für die vielfältigen Herausforderungen des Landes fest im Koalitionsvertrag verankern", sagte Peter Heydenbluth, Präsident der IHK Potsdam. "Wir müssen gestalten, statt verwalten."
Der Leiter des Verdi-Landesbezirkes Berlin-Brandenburg, Frank Wolf, erinnerte an notwendige politische Weichenstellungen im Land. Zunächst sei es wichtig, die Regierung, aber auch die Landesverwaltung so aufzustellen, dass strategisch-politisches Handeln möglich sei. Es dürfe nicht nur der Mangel verwaltet werde.
Der Cottbuser Oberbürgermeisters Holger Kelch (CDU) mahnte an, dass im Sondierungspapier bislang das Thema Kommunen zu kurz komme. "Es sind zwar viele Ankündigungen gemacht worden, unter anderem zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehr", sagte er mit. Das sei aber alles ein wenig dünn.