Interview | Extremismusforscher Matthias Quent - "Die Demokratie scheint momentan ins Wanken zu kommen"
Die sogenannten Volksparteien mussten bei der Brandenburgwahl um jede Stimme zittern. Letztendlich bleibt die SPD stärkste Kraft - mit Verlusten. Die meisten Zuwächse verzeichnete die AfD. Die Gründe analysiert der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent.
rbb: Ist nach den Wahlen in Brandenburg noch etwas Überraschendes für Sie dabei?
Matthias Quent: Es war überraschend, dass die AfD im Vergleich zu den Bundestagswahlen ihr Ergebnis noch mal verbessern konnte. Denn das viel gepflegte Narrativ, dass AfD wählen sowas wie eine Anti-Merkel-Wahl und Protest wählen sei, wird widerlegt. Denn die AfD ist jetzt auf der Landesebene sogar stärker als im Bund nach den Bundestags- und Europawahlen. Das widerspricht eigentlich dem Populismus-Narrativ.
Aber was bedeutet diese Wahl für die langjährige Regierungspartei SPD in Brandenburg? Bei der Wahl 2014 hat sie noch 31,9 Prozent der Stimmen bekommen - jetzt sind es nur noch 26,2 Prozent. Was hat sie verkehrt gemacht?
Die gesellschaftspolitischen Umstände haben sich seitdem grundlegend verändert mit dem Erstarken und der Radikalisierung der AfD. Da ist ein Verlust um fünf Prozent natürlich schmerzhaft, aber im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundesländern immer noch harmlos. Insofern hat die SPD anscheinend viel richtig gemacht, dass sie es trotzdem geschafft hat, wieder die Landesregierung in Brandenburg voraussichtlich führen zu können und stärkste Kraft zu sein - trotz dieser extrem schwierigen politischen Verhältnissen.
Allerdings wären es möglicherweise noch weniger Stimmen gewesen, wenn es nicht für viele Wählerinnen und Wähler den taktischen Moment bei der Wahl gegeben hätte. Einige haben anscheinend SPD gewählt, obwohl sie es vielleicht sonst gar nicht gemacht hätten.
Exakt. Aber das ist bei Wahlen immer so, dass taktische Überlegungen eine Rolle spielen - hier vielleicht noch mal stärker, was auch mit der gestiegenen Wahlbeteiligung korreliert. Nichtsdestotrotz ist auch das immer ein Moment, was Parteien und auch Parteistrategen in ihrer Vorbereitung von Wahlen natürlich berücksichtigen. Das heißt, wie sind diejenigen der Wählerschaft zu erreichen, die eben taktisch wählen und nicht aufgrund einer lange Bindung. Das ist völlig legitim.
Sie sagen also, die SPD hat vieles richtig gemacht, die AfD aber auch – die Partei hat ihr Ergebnis nahezu verdoppelt.
Die AfD hat ihr Ergebnis nahezu verdoppelt, was jetzt auch nicht so schwierig war, weil sie seit 2016 in den Prognosen so hoch lag und weil aus meiner Sicht nach wie vor nicht richtig eingeschätzt wird, mit was man es da eigentlich zu tun hat. Man hat zu lange das Populismus- und das Protest-Narrativ geglaubt und reproduziert. In Brandenburg steht mit Andreas Kalbitz ein Neonazi an der Spitze der Partei. Das hat aber kaum eine Rolle gespielt. Man versucht, auch immer die Wählerschaft so ein bisschen in Schutz zu nehmen vor der Wahrheit und nimmt sie damit aus der Verantwortung. Damit muss so langsam mal Schluss sein, wenn wir nicht in einigen Jahren, 2021 in Sachsen-Anhalt oder dann bei den nächsten Wahlen in Brandenburg, ein noch schlimmeres Erwachen erleben wollen.
Man muss noch sagen, dass die AfD die größten Erfolge in den dünn besiedelten Gebieten und in den Grenzregionen, beispielsweise in der Lausitz als Kohlegebiet. Es wird kompliziert, hat SPD-Landeschef Dietmar Woidke gesagt - mit Hinblick auf die Regierungsbildung und dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Kann man die Brandenburg-Wahl mit Sachsen vergleichen? Auch dort gibt es ein Erstarken der AfD, die CDU ist gerade noch so stärkste Kraft geworden. Wie bundeslandspezifisch ist dieser Ausgang beider Landtagswahlen?
Das ist tatsächlich sehr interessant. Sachsen ist wirtschaftlich stärker aufgestellt, wenn man das Bruttoinlandsprodukt zu Rate zieht. Hier wohnen auch mehr Menschen in Großstädten als es in Brandenburg der Fall ist. Trotzdem ist die AfD in Sachsen deutlich stärker als in Brandenburg. Das spricht dafür, dass die Mitte-Links Landesregierung auch mit einem Kurs der kritischen Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus und der Stärkung von Zivilgesellschaft in den letzten Jahren vieles richtig gemacht hat. Brandenburg ist zum Beispiel das einzige Bundesland mit einer Antirassismus-Klausel in der Landesverfassung. In Sachsen ist die Landesregierung, insbesondere die CDU, für rechte Töne bekannt. Und diese rechten Töne stärken eher noch die AfD - das zeigt sich auch an diesen Wahlergebnissen.
Wie beurteilen Sie eigentlich den Stand der Dinge in Sachen Demokratie und Zivilgesellschaft?
Die Zivilgesellschaft hat es hier schwerer, vor allem auch weil es eine weniger starke bürgerliche Zivilgesellschaft gibt als in den alten Bundesländern. Das fängt bei örtlichen
Stiftungen an, geht aber auch weiter bis zu, wer geht eigentlich auf die Straße, wenn dort Rechtsradikale demonstrierten. Da gibt es eine sehr starke Polarisierung zwischen rechts und links und die Mitte zieht sich aus der Verantwortung. Wir sehen aber gleichzeitig, dass sich im ganzen Land, was sich auch etwas in der Wahlbeteiligung widerspiegelt, in ganz Ostdeutschland immer mehr Menschen auch gegen Rechts, Rassismus, für Demokratie und für eine offene Zivilgesellschaft einsetzen. Das ist jetzt auch unheimlich wichtig und geboten, weil die Demokratie ist nur so lange stabil, wie sie die Unterstützung der Demokraten hat und das scheint im Moment wirklich ins Wanken zu kommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Ev Schmitt, rbbKultur.
Dieser Text ist eine redigierte Fassung. Das Interview können Sie hören, wenn Sie auf das Abspielsymbol im oberen Bild klicken.