Radikale und Rechte bei Corona-Protesten - "Wer sich einem Fackelzug anschließt, ist sich bewusst, was da passiert"
Die Corona-Proteste sind zurück, insbesondere in kleineren Städten. Massen nehmen dort nicht teil, doch die Polizei ist wegen fehlender Anmeldungen oftmals überrascht. Das macht die Proteste gefährlicher, sagen Experten. Von Ann Kristin Schenten
Unter der Weihnachtsbeleuchtung auf dem Bahnhofsvorplatz von Bernau versammeln sich am Dienstagabend knapp 1.000 Menschen. Wie auch in den Wochen davor, haben sie sich getroffen, um gegen die Corona-Maßnahmen und eine Impfpflicht zu demonstrieren.
"Ich glaub schon, dass es die Erkrankung gibt. Ich glaube, dass Alte und Kranke daran erkranken können - aber was ist mit den jungen Leuten, mit den Kindern?", sagt eine Teilnehmerin und zeigt ein Plakat mit der Aufschrift "Hände weg von unseren Kindern". Ein anderer sagt, er glaube absolut nicht an das Coronavirus. Währenddessen verteilen Vertreter der rechtsextremen Kleinstpartei III. Weg einige Flyer unter den Demonstrierenden.
Rechtsextreme und Radikale immer wieder mit dabei
Später am Abend kommt es zu Zusammenstößen zwischen einigen Demo-Teilnehmern und der Polizei. Die Teilnehmer hatten versucht, "Spaziergänge" durch die Innenstadt zu organisieren. Die Polizei hatte das vorher ausdrücklich verboten.
Der Dienstagabend in Bernau steht exemplarisch für nahezu jeden Abend der letzten Woche in Brandenburg. In Eisenhüttenstadt, in Königs Wusterhausen, in Zossen, in Cottbus – überall gab es Demonstrationen mit bis zu 3.500 Teilnehmern. In Wittstock zogen am Mittwochabend Menschen mit Fackeln durch den Ort – organisiert vom III. Weg. Auch bei den anderen Demos waren immer wieder Rechtsextreme und Radikale dabei. Die AfD organisierte einige der Kundgebungen gegen die Impfpflicht.
Die vergangene Woche zeigt: Die Proteste häufen sich. Am Montagabend zeigte sich die Polizei teils überfordert, von der Anzahl der vielen, oft unangemeldeten Proteste.
"Wer mit 1.000 Menschen auf die Straße geht, fühlt sich in der Mehrheit"
Die Sozial- und Politikwissenschaftlerin Sophia Hunger erforscht Protestbewegungen am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. "Man fühlt sich davon befeuert, dass man weiß: Das ist jetzt nicht angemeldet und es ist wenig Polizei vor Ort", so ihre Deutung. "Man sieht, dass jetzt zunehmend mit Gewalt gegenüber Journalisten reagiert wird, weil die Proteste im Kleineren passieren und nicht in Berlin, auf der Bühne des gesamtdeutschen Protests."
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty sieht das ähnlich. Dem Evangelischen Pressedienst (EPD) sagte sie: "Wer mit 1.000 Menschen auf die Straße geht, fühlt sich in der Mehrheit. Wenn es plötzlich der Nachbar ist, mit dem man zusammen demonstriert, fühlt man sich zusätzlich bestärkt."
Impfgegner seien nicht automatisch Querdenker
Unter den Teilnehmern der Anti-Corona-Demonstrationen finden sich nach wie vor Menschen mit teilweise sehr unterschiedlichen Weltanschauungen. "Nicht jeder, der Impfskeptiker ist, ist automatisch Impfgegner. Und nicht jeder, der Impfgegner ist, ist automatisch Querdenker", sagt Sophia Hunger. "Ich würde aber sagen, dass Leute, die sich einem Fackelzug anschließen, sich sehr bewusst sind, was da passiert."
Sophia Hunger lehnt auch die Einschätzung ab, nach der die Corona-Proteste von Rechtsradikalen lediglich unterwandert seien: "Rechtsextreme Gruppierungen sind der organisatorische Unterbau. Das macht auch nur Sinn: Es ist wahnsinnig aufwändig eine neue Protestkultur aus dem Boden zu stampfen. Es ist einfacher, auf Strukturen zurückzugreifen, die schon da sind. So läuft Mobilisierung."
Jens-Christian Wagner, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt: "Jeder der gemeinsam mit Rechtsextremen demonstriert, macht diese Leute und ihre antidemokratische Haltung hoffähig. Das muss jedem bewusst sein, der sich auf eine solche Demonstration gemeinsam mit Neonazis, gemeinsam mit der AfD, gemeinsam mit anderen extremen Rechten, begibt."
Shitstorm von rechts
Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald musste sich in den letzten Tagen gegen einen massiven Shitstorm von rechts wehren. Nachdem angekündigt wurde, dass nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt erhalten, brach über die Mitarbeiter eine Wutwelle herein. "Uns wurde vorgeworfen, dass wir Ungeimpfte als die 'neuen Juden' ausgrenzen würden. Wir seien die neuen Nazis, die Faschisten, die Doktor Mengeles und so weiter." Jens-Christian Wagner sagt, solche geschichtsrevisionistischen Aussagen seien zwar nicht neu, aber man höre sie nun deutlich häufiger.
Die "Querdenken"-Szene teilt sich in zwei Lager, sagt Sophia Hunger: "Das sind einerseits Leute, die sich stark radikal rechts verordnen und Leute, die sich zwar in der Mitte sehen, sich aber komplett abgehängt vom politischen System sehen. Die fühlen sich von keiner der Parteien im Bundestag repräsentiert und das schließt sogar die AfD mit ein." Etwa zehn Prozent der Gesellschaft gehören zu diesem Teil, so Hunger. Dies sei auch der Teil der Gesellschaft, der sich definitiv nicht mehr impfen lassen werde.
"Die übrigen 20 Prozent aufklären"
Doch es gibt auch noch die, die zweifeln. "Wir können und wir müssen die erreichen, die kurz vor dem Abkippen in die Szene der Verschwörungsideologen sind", sagt Wagner. Auch Sophia Hunger ist der Meinung: "30 Prozent der Deutschen sind nicht vollständig geimpft, zehn Prozent erreichen wir nicht mehr. Aber es gibt einfach diese übrigen 20 Prozent, die die Impfkampagne noch immer nicht richtig erreicht hat, die müssen wir aufklären."
Hunger schlägt vor, in Einkaufszentren gezielt Aufklärungsangebote zur Impfung anzubieten. "In Österreich gibt es so etwas schon", sagt sie. "Auffallend viele Frauen sind skeptisch, haben Angst, dass die Impfung unfruchtbar mache. Das stimmt nicht, dagegen müssen wir vorgehen."
Jens-Christian Wagner sagt: "Wir müssen darauf hinweisen, dass alle Corona-Maßnahmen demokratisch legitimiert wurden. Sie wurden in Landtagen und im Bundestag von einer demokratischen Mehrheit beschlossen. Das ist etwas grundlegend anderes als Anordnungen einer Diktatur, wie es der Nationalsozialismus gewesen ist."
In den nächsten Tagen sind wieder einige Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin und Brandenburg angekündigt. Ist Brandenburg ist die Zahl der Teilnehmer auf 1.000 begrenzt. Zu größeren Ausschreitungen ist es in Berlin und Brandenburg bisher nicht gekommen.
Sendung: Brandenburg aktuell, 16.12.2021, 19.30 Uhr