Nach Russlands Einmarsch - Wie sich Berlin auf Schutzsuchende aus der Ukraine vorbereitet
Nach dem Schock über Russlands Einmarsch in die Ukraine kommt auch die Frage auf: Ist Berlin ausreichend darauf vorbereitet, wenn zahlreiche Menschen in die Flucht getrieben werden und hier Schutz suchen? Von Franziska Hoppen
Die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) hat keine leichte Aufgabe vor sich. Wegen des russischen Einmarschs könnten bereits in den kommenden Tagen die ersten ukrainischen Geflüchteten in Berlin ankommen. Doch die Flüchtlingsunterkünfte sind voll - zu rund 97 Prozent. Wo also hin mit den Menschen?
Am Freitag sagte Kipping im Inforadio vom rbb, sie rechne damit, dass schon am Wochenende die ersten Menschen ankommen. Dafür habe man in Reinickendorf ein Ankunftszentrum eingerichtet. Es handele sich dabei aber nur um eine vorübergehende Lösung.
Den Bund forderte Kipping auf, schnell die juristischen Rahmenbedingungen für die Geflüchteten zu klären. Es müsse sichergestellt werden, dass die Menschen in Deutschland arbeiten dürfen.
Gebraucht werden Lebensmittel, Schulplätze und Sicherheitskräfte
Zuletzt waren bereits, unabhängig von der Entwicklung in der Ukraine, alte Flüchtlingsunterkünfte wieder an den Start gegangen: Vor drei Wochen das Tempohome auf dem Tempelhofer Feld, bewohnt aktuell von rund 130 Personen. In dieser Woche nahm eine Unterkunft in der Groscurthstraße in Buch die ersten Geflüchteten auf, mit Platz für insgesamt fast 500 Bewohner.
Im März kommen zwei neue dazu: in der Fritz-Wildung-Straße in Schmargendorf und in der Brabanter Straße in Wilmersdorf, für insgesamt knapp 350 Menschen. Und: Es finde die Akquise von weiteren Objekten statt, sagte Kipping. Doch das allein reicht eben nicht. Es braucht gesundheitliche Versorgung, Lebensmittel, Kita- oder Schulplätze und nicht zuletzt: Sicherheitskräfte.
Migrationsforscher erwarten 5.000 bis 70.000 Ukrainer
Was das Planen erschwert: Keiner weiß, wie viele Menschen kommen könnten. Die Szenarien gingen so weit auseinander, sagt Kipping, dass sie keine belastbaren Zahlen nennen könne. Migrationsforscher erwarten bereits je nach Kriegs-Szenario zwischen 5.000 und 70.000 Ukrainern – Zahlen, die Kipping im rbb-Interview nicht bestätigten wollte.
Ebenso unklar ist, wann die ersten Ukrainerinnen und Ukrainer hier sein könnten. Der Weg aus Kiew dauert etwa zwei Stunden mit dem Flugzeug, einen Tag mit dem Bus. Für Kipping heißt das: Es muss jetzt schnell gehen. "Deswegen orientieren wir uns darauf, dass wir vielleicht schon morgen, auf jeden Fall schon kommende Woche passende Objekte zur Hand haben müssen", so die Linken-Politikerin.
LAF kann bis zu 1.000 Menschen pro Monat versorgen
Aktuell haben Berlins Flüchtlingsunterkünfte allerdings einen Puffer von 1.300 freien Plätzen - rund 21.300 Plätze sind belegt. Das teilte die Senatsverwaltung für Soziales mit. Außerdem rechnet das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, kurz LAF, vor: Weil Asylanträge der bestehenden Bewohner abgelehnt und sie abgeschoben werden, andere wiederum wegziehen oder in Berlin eine eigene Wohnung finden, sei die Zahl der Bewohner in Bewegung. Bis zu 50 Menschen am Tag, rund 1.000 pro Monat, könne das LAF Stand jetzt deshalb noch unterbringen und versorgen, sagte ein Sprecher dem rbb. Doch was ist danach?
Neukölln ist auf Situation nicht vorbereitet
Der Neuköllner Stadtrat für Soziales, Falko Liecke, kommt da langsam ins Schwitzen. Er sagt, sein Bezirk sei, wie vermutlich auch andere, nicht auf die Ankunft zusätzlicher Geflüchteter aus der Ukraine vorbereitet. Neukölln hätte ohnehin schon große Probleme, viele Menschen unterzubringen. Außerdem bräuchten traumatisierte Geflüchtete sozialpädagogische, sozialpsychiatrische Angebote. Neukölln könne bereits kaum die Pflichtangebote einhalten.
Die Erinnerungen an lange Schlangen, bürokratisches Chaos und viel Trauma in den Jahren 2015/2016 sind noch frisch. Sein Appell: Das Land müsse nun schnell handeln. Doch zur konkreten Frage, wie es weitergehen kann, soll es erst kommenden Dienstag einen ersten Austausch zwischen den Sozialstadträten geben, dazu hat die Sozialverwaltung eingeladen.
Giffey: Mit so schneller Eskalation nicht gerechnet
Dass die Lage so schnell eskaliert, "mit dieser Schärfe, dieser Schnelligkeit, dieser Vorbereitung", damit habe kaum jemand gerechnet, sagte die Berliner Regierende Bürgermeistern Franziska Giffey der rbb Abendschau. Sie fühle sich fassungslos, entsetzt. Das sei ein Ausnahmezustand, so Giffey.
Konkreter als Sozialsenatorin Kipping wurde aber auch die Regierende Bürgermeisterin nicht. Doch Giffey betonte: Berlin müsse nun all jenen helfen, die aus der Ukraine hier Schutz suchen.
Sendung: Abendschau, 24.02.2022, 19:30 Uhr