Prozess um rechtsextreme Anschläge in Neukölln - Brandstiftung kann theoretisch auch versuchte Tötung sein

Mo 29.08.22 | 15:11 Uhr | Von Torsten Mandalka
Die Angeklagten sitzen im Gerichtssaal des Kriminalgerichts Moabit hinter ihrern Anwälten und verdecken ihre Gesichter. (Quelle: dpa/Christian Ender)
Video: rbb24 13 Uhr | 29.08.2022 | Juliane Kowollik | Bild: dpa/Christian Ender

Vor dem Amtsgericht Tiergarten hat am Montag der Prozess um die Neuköllner Anschlagsserie begonnen. Am ersten Verhandlungstag wurde breit erörtert, ob es in dem Komplex auch um ein versuchtes Tötungsdelikt gehen könnte. Von Torsten Mandalka

Unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag in Berlin vor dem Amtsgericht Tiergarten der Prozess nach einer Serie rechtsextremer Brandanschläge und Drohungen im Bezirk Neukölln begonnen.

Zwar brauchte die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft mehr als eine halbe Stunde, um die Anklagen zu verlesen, es dominierte aber zu Prozessbeginn vor allem die Verteidigung – um sich über Verfahrensfragen auszulassen.

Angeklagte verweigern die Aussage

Am ersten Verhandlungstag fehlten zwei der ursprünglich fünf Angeklagten. Gegen einen war das Verfahren schon vor einigen Tagen durch Verhängung eines Strafbefehls über 900 Euro wegen Sachbeschädigung abgetrennt worden. Der andere, der stadtbekannte Rechtsextremist Oliver W., hatte sich am Morgen krankgemeldet. Auch das ihn betreffende Verfahren wurde abgetrennt, Richterin Ulrike Hauser behielt sich aber – wie sie betonte – Zwangsmaßnahmen gegen ihn vor.

Die drei verbliebenen Angeklagten machten zu Prozessbeginn von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Vom Hauptangeklagten, dem früheren Neuköllner NPD-Funktionär Sebastian T., hieß es nur: "Derzeit keine Angaben."

Für dessen engen Freund, den vormaligen AfD-Parteigänger Tilo P., ergriff Verteidiger Mirko Röder das Wort, das er an den Linken-Politiker und Nebenkläger Ferat Kocak richtete. Sein Mandant sei unschuldig, sehe aber, dass Kocak - dessen Auto nachts in einem Carport direkt neben seinem Haus angezündet worden war - persönliches Leid erfahren habe. Das bedauere er und hoffe, dass er das verarbeiten könne. Später vor der Tür sagte Kocak in die Kamera von rbb24-Recherche: "Dem Anwalt nehme ich es ab, dem Hauptverdächtigen nicht."

Kocak war auf seine Beschwerde hin erst am Freitag vom Landgericht als Nebenkläger zugelassen worden. Das Amtsgericht unter Richterin Hauser hatte das zunächst abgelehnt. Das Landgericht begründete die Nebenklage-Zulassung unter anderem damit, dass es eine "materiell-rechtliche Möglichkeit" gebe, dass die beiden Hauptangeklagten T. und P. auch wegen versuchten Mordes oder versuchten Totschlags verurteilt werden. Jedenfalls habe ein Verletzter – in diesem Falle Kocak – das Recht, als Verfahrensbeteiligter darauf hinzuwirken, auch wenn eine Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts tatsächlich ungewiss sei.

Diskussion um theoretische Verurteilung wegen versuchten Mordes

Ferat Kocak saß deswegen also am Morgen neben seiner Anwältin mit im Gerichtssaal. Was auf Seiten der Verteidigung Unruhe auslöste. Nicht nur, dass Kocak als Linken-Abgeordneter und Mitglied des Neukölln-Untersuchungsausschusses in einer schwierigen Doppelrolle sei - wenn darüber hinaus auch noch theoretisch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes im Raum stehe, was eigentlich abwegig sei, müsse der Prozess direkt vor dem Landgericht verhandelt werden. Ein solcher Vorwurf sprenge nämlich die Kompetenzen des Amtsgerichts. Außerdem habe sich die Verteidigung auf die neue Sachlage nicht genügend vorbereiten können.

"Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt", sagte Richterin Hauser nach einer kurzen Verhandlungspause. Dadurch, dass sie dann noch das Wörtchen "leider" ergänzte, wurde sehr deutlich, dass sie dieses Verfahren nicht herbeigesehnt hatte. Für ein versuchtes Tötungsdelikt gebe es – Stand jetzt – keinen hinreichenden Tatverdacht, lautete die Begründung des erweiterten Schöffengerichts. Da man außerdem in den kommenden Verhandlungstagen über die Sachbeschädigungs- (es geht dabei vor allem um Propaganda in Bezug auf den früheren Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß) und Betrugsdelikte reden werde, vorläufig noch nicht über die Brandstiftungen, habe die Verteidigung auch ausreichend Gelegenheit, sich in die Tötungsdelikt-Frage einzuarbeiten.

Prozess geht Mittwoch weiter

Das Verfahren wird am Mittwoch fortgesetzt – möglicherweise dann mit noch einem Angeklagten weniger und nur noch gegen die Hauptangeklagten Sebastian T. und Tilo P. Ein entsprechender Antrag zur Abtrennung des Verfahrens gegen den verbliebenen dritten Angeklagten Samuel B. liegt jedenfalls schon vor – ihm werden nämlich auch vergleichsweise kleine Sachbeschädigungsdelikte vorgeworfen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.08.2022, 9:00 Uhr

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