Lagebild der Polizei - Druck auf Berliner Clanstrukturen zeigt erste Wirkung
Der Druck auf kriminelle Clanstrukturen scheint Wirkung zu zeigen. Das Lagebild der Berliner Polizei, das rbb24 Recherche vorliegt, zeigt einen Rückgang der Straftaten und mehr Einsätze gegenüber 2020. Von René Althammer und Olaf Sundermeyer
Die Berliner Polizei veröffentlicht am Freitag das aktuelle Lagebild zur Clankriminalität. Auch wenn sich das Fazit in weiten Teilen wie eine Doublette von 2020 liest, scheint der Druck auf kriminelle Clan-Strukturen zu wirken.
2021 wurden 849 (2020: 1013) Straftaten registriert, die der Clankriminalität zugerechnet werden. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg leicht von 291 auf 295. Mit 42,58 Prozent (2020: 45,3 Prozent) sind deutsche Staatsbürger die stärkste Gruppe, bei 18,88 Prozent (2020: 15,72 Prozent) ist die Staatsbürgerschaft ungeklärt. Libanesische Staatsbürger sind mit knapp 16 Prozent (2020: 17,53 Prozent) vertreten, gefolgt von Verdächtigen mit türkischem Pass (5,59 zu 5,93 Prozent in 2020). Die Täterstruktur ist also nahezu unverändert.
Mehr polizeiliche Maßnahmen gezählt
Auch wenn polizeiliche Maßnahmen gegen kriminelle Clanstrukturen oft personalintensiv sind, stieg die Zahl 2021 trotz Corona von 652 auf 849 an. Wer sucht, der findet und so stieg die Zahl der Ordnungswidrigkeiten von 192 auf 247. Gut drei Viertel davon waren Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz und das Waffengesetz.
Der Schwerpunkt der Straftaten und damit auch der Einnahmequellen im Bereich der Clankriminalität liegt in der Begehung von Eigentums- und Betrugsdelikten und im Drogenhandel, hinzu kommen Gewalt- und Verkehrsstraftaten. Bei den Betrugstaten scheinen Rezeptfälschungen (32) "zur Verschreibung von Arzneimitteln (Tilidin, Lyrica)" besonders hervorzustechen.
Eine Auswertung der Altersstruktur bekannter Mehrfachtäter zeigt, dass die Gruppe der 22- bis 35-Jährigen die zahlenmäßig größte ist. Ältere würden im Bereich der Gewalttaten eher selten in Erscheinung treten. "Es liegen Erfahrungen vor", heißt es dazu im Lagebild, "die darauf schließen lassen, dass sie eher verdeckt agieren und die Beeinflussung jüngerer Familienmitglieder mehr Raum einnimmt."
Weiter Drogenhandel mit Kokstaxis
Überfälle auf Geldtransporter wie im Februar 2021 sind spektakulär, doch im Alltag scheint der Drogenhandel mit Kokstaxis trotz Verurteilungen weiter eine der Hauptbetätigungen darzustellen. Die dank der Entschlüsselung der Encrochat-Daten eingeleiteten Ermittlungsverfahren belegen das. Über Jahre sorgte das "Kokstaxi" für sicheren Absatz, doch nach Ermittlungen und Verurteilungen in 2019 und 2020 schien das Geschäft vorübergehend zumindest etwas beschädigt. Doch als im Mai 2021, so das Lagebild, neue Ermittlungen aufgenommen wurden, stellten die Beamten fest, dass das Geschäft weiterlief, allerdings wurden verstärkt Messengerdienste "zum Vertrieb des Kokains genutzt. Innerhalb der Gruppierung wurden zudem Aufgaben und Verantwortlichkeiten neu verteilt und neue Mittäter angeworben."
Eine sichere Einnahmequelle scheint auch weiterhin der Handel mit unversteuertem Wasserpfeifentabak zu sein: 44 Strukturverfahren führen Polizei und Zollfahndung gemeinsam durch. Hinzu kommen Einsätze in Shisha-Bars und Barber-Shops, die derzeit überall aus dem Boden "schießen".
Präventionsprogramm noch immer in Planung
2018 stellte der damalige Innensenator Anreas Geisel (SPD) sein 5-Punkte-Programm zur Bekämpfung der Clankriminalität vor. Dazu gehörte auch ein Aussteigerprojekt für kriminelle Clanangehörige, dass es bis heute nicht gibt. Die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln hatte dem Bezirksbürgermeister die Entwicklung eines derartigen Programms aufgetragen. Es sollte ein Pilotprojekt werden. Als Erklärung für die Verzögerung bei der Umsetzung wird nach rbb-Informationen sowohl in der Innenverwaltung als auch im Bezirk die Pandemie angeführt. Außerdem ist die Finanzierung nach Informationen von rbb24 Recherche bislang nicht geklärt.
2020 hieß es im Lagebild offiziell noch: "Die Befassung zur Erarbeitung eines eigenen Programms zur Distanzierung von beziehungsweise Ausstieg aus der Clankriminalität dauert an. Erste erfolgversprechende Ergebnisse werden im Jahr 2021 erwartet." Im aktuellen Lagebild liest sich das so: "Dem Bezirksamt Neukölln wurde die Federführung … übertragen. Gleichzeitig erging der Auftrag, unter Einbeziehung der dort bereits bestehenden Bemühungen und in Abstimmung mit weiteren Institutionen ein ressortübergreifendes phänomenbezogenes Landesrahmenkonzept bzw. Dissoziierungsprogramm zur Entwicklung präventiver Maßnahmen und entsprechender Ausstiegsszenarien zu erarbeiten."
Wann es endgültig umgesetzt wird und wie, dazu gibt es keine weiteren Details. Berlin steht damit nicht allein da, trotz aller Ankündigungen fehlt es deutschlandweit an einem Aussteigerprojekt. Einzig Nordrhein-Westfalen verweist immer wieder auf ein dort aufgelegtes Präventionsprojekt. Inwieweit es wirklich Einfluss auf die Clankriminalität hat, dazu liegen bislang keine Erkenntnisse vor.
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.05.2022, 19:30 Uhr