Prozess gegen Polizisten wegen Geheimnisverrats - Opfer von Neuköllner Anschlagsserie: "Ich musste hier weg"
Christiane Schott lebte elf Jahre lang in der Neuköllner Hufeisensiedlung. Im Sommer zog sie einen Schlussstrich und verkaufte ihr Haus. Einer der Gründe: Ein Polizist, der mutmaßlich Kontakte in die rechte Szene hat und jetzt vor Gericht steht. Von Jo Goll und Torsten Mandalka
Vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten wird am Mittwoch gegen einen Polizisten verhandelt (Update, 11:30 Uhr: Der Prozess wurde zunächst vertragt). Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Geheimnisverrat vor.
In einer AfD-Chatgruppe, zu der auch Rechtsextremisten gehörten, soll er kurz nach dem Terror-Anschlag auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016 Ermittlungsdetails über den Attentäter Anis Amri weitergegeben haben. Zu der Chatgruppe gehörte auch ein stadtbekannter Neonazi, der für die rechtsextreme Anschlagsserie im Berliner Bezirk Neukölln mitverantwortlich sein soll.
Christiane Schott schaut sich immer wieder um, als sie mit uns nochmal durch die Hufeisensiedlung geht. Irgendwie scheint ihr alles vertraut zu sein – und doch ist ihr inzwischen vieles fremd. "Die Ruhe ist schon irgendwie merkwürdig", sagt die Sozialarbeiterin. "Wo wir jetzt wohnen, gibt's Läden und jede Menge Cafés und Kneipen. Da ist ständig was los. Vieles ist wieder so wie früher, als wir in Kreuzberg gelebt haben."
Viel los war für sie und ihren Mann in den vergangenen Jahren auch in der beschaulichen Hufeisensiedlung in Berlin-Neukölln. Doch es geschah nicht immer das, was die beiden sich gewünscht hatten.
Steine durchs Fenster
Ab 2011 geriet das Ehepaar Schott mit ihren beiden Töchtern ins Visier von Neonazis. Ein gesprengter Briefkasten, Drohungen an den Häuserwänden, Steine durch die Fensterscheiben – insgesamt zehn Mal attackierten die Rechtsextremisten das Haus der Schotts. Und alles nur, weil Christiane Schott bei der Gartenarbeit beobachtete, wie NPD-Aktivisten im August 2011 ihr Wahlwerbung in den Briefkasten steckten.
"Als ich denen gesagt habe, sie sollen mir nie wieder ihre Flyer in den Briefkasten stecken, war es schon passiert." Die Neonazis entfachen in der Folgezeit eine regelrechte Welle von Attacken im Südosten Berlins: Autos brennen, rechte Parolen werden gesprüht. Und immer wieder gerät Christiane Schott mit ihrer Familie ins Visier der Rechtsradikalen.
Vorkämpferin gegen Rechts
Christiane Schott will diesem Treiben nicht nur zuschauen. Sie schließt sich mit anderen Betroffenen zusammen, organisiert Mahnwachen und Demonstrationen gegen den Terror im Kiez, gründet die Bürgerinitiative "Hufeisern gegen Rechts". Aus einer eher unpolitischen Sozialarbeiterin wird im Laufe der Jahre eine engagierte Kämpferin gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Ihr Engagement kostet Zeit und Kraft. Doch ihr Mut und ihre Zivilcourage finden große Beachtung.
2014 bekommen Christiane Schott und ihre Bürgerinitiative "Hufeisern gegen Rechts" das Band für Mut und Verständigung verliehen. Der rbb dreht die Dokumentation "Terror im Kiez", die auch in der ARD ausgestrahlt wird. Sämtliche große Tageszeitungen berichten aus der Hufeisensiedlung, auch internationale Medien interessieren sich für den Widerstand engagierter Bürgerinnen und Bürger gegen den Nazi-Terror. Vieles in dieser Geschichte klingt nach Gemeinschaftssinn, Solidarität. Warum zieht die Familie im Sommer 2021 weg? Haben die Neonazis die engagierten Bürger mürbe gemacht und verjagt?
Schott: Polizist hat mir den Rest gegeben
Im Frühjahr 2020 bringen Recherchen des ARD-Magazins Kontraste eine Geschichte ans Tageslicht, die Christiane Schott bis heute tief bewegt. Demnach soll der Polizist Detlef M., aktives AfD-Mitglied, in einer Telegram-Chatgruppe mit Gleichgesinnten kurz nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz Ende Dezember 2016 polizeiinterne Details über den Attentäter Anis Amri verraten haben, als diese noch nicht bekannt waren. Deshalb muss sich Polizeihauptkommissar Detlef M. heute vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Pikant: Teilnehmer des besagten AfD-Chats ist auch Tilo P., der als einer der drei Hauptverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie gilt.
"Für mich ist es bis heute unfassbar, dass ein Polizist gemeinsam mit jemandem, der mutmaßlich für Terroranschläge im Süden Neuköllns verantwortlich ist, in der AfD aktiv ist. Wem soll ich denn noch vertrauen?", fragt sich Christiane Schott und schüttelt den Kopf. Hinzu kommt: Detlef M. lebt selbst in der Hufeisensiedlung, war bis vor kurzem mehr oder weniger direkter Nachbar der Familie Schott. "Der konnte von seinem Balkon aus in unseren Garten schauen, der konnte sehen, ob wir da sind oder nicht."
Christiane Schott fühlte sich fortan nicht mehr wohl in ihrem Zuhause. Ihre beiden erwachsenen Töchter sind schon vor Jahren zu Hause ausgezogen und meiden die Hufeisensiedlung seither. "Wir haben uns über Jahre fast nur noch in Cafés mit unseren Töchtern getroffen. Die beiden hatten keine Lust mehr auf diese Siedlung."
Kampf gegen Rechtsextremismus geht weiter
Christiane Schott betont aber, dass sie mit ihrem Engagement gegen Rechtsextremismus weitermachen wird. "Der Kampf gegen Rechts geht weiter, wir haben jetzt mal Luft geholt und fühlen uns gut", sagt sie mit einem Zwinkern in den Augen. Mit der Bürgerinitiative Basta demonstriert sie seit knapp drei Jahren jeden Donnerstag vor dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) für die Aufklärung der Neuköllner Anschlagsserie und die Offenlegung möglicher rechter Strukturen innerhalb der Berliner Polizei.
Auslöser für die wöchentliche Dauer-Demo war eine rbb-Recherche [tagesschau.de], wonach der Neuköllner Neonazi Sebastian T., ebenfalls ein Hauptverdächtiger der Anschlagsserie, mutmaßlich bei einem Treffen mit einem LKA-Beamten in einer Neuköllner Fußball-Kneipe von Beamten des Berliner Verfassungsschutzes beobachtet wurde. Seither ist Christiane Schott fest davon überzeugt, "dass staatliche Behörden da in einer Weise mit drinhängen, die unbedingt vertuscht werden soll."
Detlef M. wurde versetzt
Im Fall Detlef M. hat die Berliner Polizei reagiert. Wie rbb24 Recherche aus Sicherheitskreisen erfahren hat, wurde der Polizeihauptkommissar vorübergehend vom Dienst enthoben und mit einem Disziplinarverfahren belegt. Da die strafrechtliche Verfolgung des mutmaßlichen Geheimnisverrats noch nicht abgeschlossen ist, musste das polizeiinterne Disziplinarverfahren allerdings ausgesetzt werden. Es wird erst nach dem Richterspruch fortgesetzt.
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