rbb-Affäre - Zu Gast bei Patricia

Do 11.08.22 | 21:10 Uhr | Von René Althammer und Oliver Noffke
Ein Kellner serviert einen Teller mit vegetarischen Köstlichkeiten. (Quelle: dpa/I. Botbol)
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Video: Brandenburg aktuell | 11.08.2022 | T. Bittner und T. Rostek | Bild: dpa/I. Botbol

Hat die ehemalige rbb-Intendantin Patricia Schlesinger private Abendessen als geschäftliche Termine getarnt und über den Sender abgerechnet? Der Verdacht liegt nahe. Von René Althammer und Oliver Noffke

Das rbb-Recherteam recherchiert zu den Vorwürfen gegen die rbb-Spitze, arbeitet selbständig, unabhängig und ist nicht an Weisungen gebunden.

Masurenallee Ecke Theodor-Heuss-Platz, das rbb-Fernsehzentrum im Westen Berlins. Ein Funktionsbau aus den sechziger Jahren. 14 Etagen, Büroräume, Redaktionen, Archive, Hausversorgung. Die oberste Etage ist öffentlich zugänglich: ein Cocktail an der Bar oder Currywurst mit Ausblick. Einen Stock darunter sitzt die Intendanz. Helle, großzügige Räume; bis vor Kurzem noch das Reich von Patricia Schlesinger.

Aus ihrem ehemaligen Büro kann man den Blick schweifen lassen. Man überschaut eine Metropole, die aufgrund ihrer sozialen Strukturen immer wieder als "Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger" betitelt wird. Man blickt dahinter auf ein Bundesland, das nach wie vor am unteren Ende steht, wenn Bundesvergleiche über Einkommen oder Kaufkraft bemüht werden.

Man sieht Menschen, die einen gesetzlichen Anspruch darauf haben, gut über ihre Heimat vom rbb informiert zu werden – und dazu verpflichtet sind, hierfür den Rundfunkbeitrag zu zahlen. Menschen, denen wir Redakteure und Redakteurinnen nun erklären müssen, was viele im Haus nicht für möglich gehalten haben: Dass in dieser 13. Etage offensichtlich gedankenlos und verschwenderisch mit öffentlichen Geldern umgegangen wurde.

Bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe

Von den Vorwürfen, die seit Beginn der Berichterstattung des "Business Insiders" in dem Fall ans Licht gekommen sind, bergen Abendessen, die möglicherweise falsch abgerechnet wurden, das höchste juristische Risiko für Schlesinger. Hat die Ex-Intendantin private Dinner mit Gästen aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft dem rbb als Geschäftsessen in Rechnung gestellt?

Für den Sender wären diese Posten ein vergleichsweise geringer finanzieller Schaden. Doch strafrechtlich geht es um Betrug. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, drohen der 61-Jährigen bei einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe.

Zwischen Mai 2018 und Mai 2022 hat Schlesinger - mindestens - achtmal Abendessen in ihrer Privatwohnung vom rbb bezahlen lassen. Offiziell waren dies stets geschäftliche Termine. Nur wussten einige der Eingeladenen davon offenbar gar nichts.

Am Dienstag sagte die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik der rbb24 Abendschau, sie sei "überrascht und irritiert, auch menschlich wirklich enttäuscht" gewesen, als sie erfuhr, dass der rbb für das Catering aufgekommen war, als sie am 12. Februar dieses Jahres bei Schlesinger zu Gast war. "Ich wurde eingeladen zur Einweihung der neuen Wohnung mit Freunden. So war die Atmosphäre und die Stimmung."

Für insgesamt neun Personen wurde bei dem angeblichen Geschäftsessen in der neuen Wohnung aufgetischt. Winterkabeljau nach peruanischer Art, geschmortes Lamm aus der Eifel, Mangomousse, Birnentarte, confierte Pflaumen. Am Ende wurden dem Sender 1.154,87 Euro für den Genuss in Rechnung gestellt, Getränke inklusive. Hätte sie davon gewusst, wäre sie selbstverständlich dafür aufgekommen, so Polizeipräsidentin Slowik.

Der Mann isst mit! Wieso eigentlich?

Gegessen hat an diesem Abend auch Gerhard Spörl, Schlesingers Ehemann. Auch gegen ihn ermittelt jetzt die Berliner Staatsanwaltschaft. Der frühere "Spiegel"-Journalist soll Aufträge von der Messe Berlin GmbH angenommen haben. Möglicherweise vermittelt durch Wolf-Dieter Wolf. Der Immobilienunternehmer war bis Dienstag Vorsitzender des rbb-Verwaltungsrats – also ehrenamtlicher Kontrolleur der ehemaligen Intendantin. Seit 2017 saß er zudem Aufsichtsrat der landeseigenen Messe vor. Auch von diesem Posten hat sich Wolf mittlerweile zurückgezogen.

Spörl wurde bei fünf von acht durchgeführten Abendessen mitbedacht. Allerdings ist fraglich, ob Schlesinger ihrem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber überhaupt jedes Mal wahrheitsgemäß mitgeteilt hat, wer zu Gast war. Mindestens einmal wurde der Name des Ehemanns offenbar weggelassen.

Mariette Rissenbeek, Co-Chefin der Internationalen Berliner Filmfestspiele, war am 6. Februar 2021 in Schlesingers Privatwohnung eingeladen - "+ Partner". So steht es im Antrag zur Erstattung von Bewirtungskosten, den die Intendantin im rbb vorlegte. Rissenbeek kam allerdings allein, der damals geltenden Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen wegen, wie sie auf Anfrage mitteilte.

Trotzdem aßen drei. Beim Drei-Gänge-Menü (Kürbissuppe, gefüllte Aubergine, zum Dessert: Zitronencreme, Mousse au Chocolat sowie Tarte mit Nüssen und Aprikosen) saß Spörl mit am Tisch, erinnert sich Rissenbeek. Rechnungsbetrag inklusive Wein und Tischwäsche: 206,47 Euro.

Die Berlinale und der rbb – zwischen beiden bestehen jede Menge Kooperationen. Dass Rissenbeek und Schlesinger einiges zu besprechen haben, erscheint logisch. Aber wieso isst der Mann der Intendantin auf Kosten der Beitragszahler mit? Wieso taucht sein Name nicht auf der Rechnung auf? Und wenn diese Angaben nicht stimmen sollten, wie verlässlich sind dann die anderen Rechnungen?

Auch dem Rechtsanwalt und Kunstmäzen Peter Raue war nicht klar, dass es sich um einen Geschäftstermin gehandelt haben soll, als er im Januar des vergangenen Jahres im Zuhause der damaligen Intendantin eingeladen war.

Fristlose Kündigung und Schadensersatz

"Sowas kann tatsächlich eine fristlose Kündigung begründen, da der Vertrauensverlust erheblich ist", sagt Livia Merla, Anwältin für Arbeitsrecht, dem rbb, "und im Zweifel muss auch in solchen Fällen keine Abmahnung vorher ausgesprochen werden." Allerdings müsse eine fristlose Kündigung relativ schnell ausgesprochen werden, so Merla. Ab dem Bekanntwerden mutmaßlicher Verfehlungen habe der Arbeitgeber zwei Wochen Zeit, das zu tun.

Im konkreten Fall heißt dies: Nachdem Polizeipräsidentin Slowik am Dienstag erheblich an der Glaubwürdigkeit von Schlesingers Geschäfts-Dinner-Behauptung gekratzt hat, müsste der rbb-Verwaltungsrat eigentlich reagieren, um den Sender vor zukünftigen Zahlungen an die Ex-Intendantin zu schützen. "Da es mittlerweile auch alle mitbekommen haben, tickt die Uhr dann auch", sagt Merla.

Selbst der Verdacht, das Unternehmen wurde gravierend geschädigt, reiche dafür aus, sagt die Juristin. "Wenn Indizien dafür da sind, dass sie diese Tat begangen hat, und sie angehört wurde zu dem Thema und kann es auch nicht aus der Welt räumen, dann kann auch der Verdacht einer so schwerwiegenden Tat eine fristlose Kündigung rechtfertigen." Zudem könne der Sender Schadensersatzansprüche geltend machen: "Wenn jemand vorsätzlich Gelder veruntreut, muss er sie im Zweifel auch zurückzahlen."

Die acht Abendessen in Patricia Schlesingers Privatwohnung – von denen wir bislang wissen, dass sie als Geschäftsessen beim rbb abgerechnet wurden – haben insgesamt 4.457, 96 Euro gekostet. Verglichen mit anderen Summen, die im Raum stehen, wäre dieser finanzielle Schaden sicher verkraftbar. Doch die Schadenshöhe ist nicht unbedingt entscheidend. "Das ist ja wirklich auch ein Vermögenstatbestand, über den wir hier reden, und im Endeffekt ist die Summe, was da veruntreut wurde, egal", so Arbeitsrechtlerin Merla. "Maßgebliches Argument für die Kündigung ist der Vertrauensbruch und da ist die Summe nachrangig."

Patricia Schlesinger hat auf Nachfragen nicht reagiert.

Wenn Sie zum Sachverhalt einen Kommentar schreiben wollen, können Sie das unter dem hier verlinkten Artikel tun.

Sendung: rbb24 Abendschau, 11.08.2022, 19.30 Uhr

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