Landeseigene Wohnungsgesellschaften in der Krise - "Wäre ich eine Bank, würde ich ihnen keine Kredite mehr geben"

Mi 14.12.22 | 06:02 Uhr | Von Ute Barthel, Jana Göbel und Thorsten Gabriel
Archivbild: Ein Baugerüst steht an der Fassade von einem nicht fertig gebauten Wohnhaus auf einer Baustelle im Berliner Süden. (Quelle: dpa/M. Skolimowska)
dpa/M. Skolimowska
Audio: rbb24 | 14.12.2022 | Ute Barthel | Bild: dpa/M. Skolimowska

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen können die Last kaum noch stemmen: Sie sollen Wohnungen bauen, ankaufen, modernisieren und günstig vermieten - eine Zerreißprobe, die immer schwieriger wird. Von U. Barthel, J. Göbel und T. Gabriel

  • Die landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmen haben im Juni erneut bekräftigt, bis 2026 35.000 neue Wohnungen zu errichten. Das Ziel scheint nicht mehr realisierbar.
  • Die Corona-Krise und die Krise im Baugewerbe setzen den Wohungsunternehmen zu. Die Verschuldung steigt zunehmend.
  • rbb-Recherchen zeigen, dass das Land die Wohnungsunternehmen mit einem Milliardenbetrag absichern muss.

"Zaubern können wir auch nicht", sagt Jörg Franzen und blickt in die Gesichter der Baufachleute im Berliner Abgeordnetenhaus. Bei einer Anhörung im November versucht sich der Chef der landeseigenen Gesobau als Sprecher der landeseigenen Wohnungsunternehmen nicht daran, die Situation schönzureden.

Schon seit langem ächzen die städtischen Gesellschaften unter den Erwartungen aus der Politik, die an sie gerichtet sind. Die nun in die Höhe geschnellten Baukosten und Bauzinsen verschärfen alles nur noch. "Das ist ein extremer Killer für Investitionen, wenn man relativ feststehende Einnahmemöglichkeiten hat."

Für Franzen steht fest: Es müssen dringend Prioritäten gesetzt werden. Neubau, Ankauf, Modernisierung und niedrige Mieten - das alles sei nicht zusammen machbar. Dass der Manager nicht überdramatisiert, macht auch Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) in der gleichen Ausschusssitzung deutlich. Es sei problematisch, die vereinbarten Neubauziele zu halten, wenn die landeseigenen Gesellschaften gleichzeitig wirtschaftlich bleiben sollen.

Ein Spagat zwischen günstigen Mieten und teurem Neubau

Im "Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen in Berlin" hatten die sechs landeseigenen Unternehmen im Juni bekräftigt, am Ziel festzuhalten, in dieser Wahlperiode insgesamt 35.000 neue Wohnungen zu errichten. Macht 7.000 pro Jahr.

Im vergangenen Jahr waren es gut 3.300 Wohnungen. In diesem werden es nach rbb-Informationen rund 6.500 sein. Für die Gesellschaften ist das zwar ein Rekordwert, doch der Rückstand aus den Vorjahren ist so hoch, dass er bis Ende 2026 wohl nicht aufgeholt werden kann.

Auf der einen Seite die Einnahmen zu bremsen, auf der anderen Seite die Kosten zu erhöhen, das ist fast unmöglich.

Konstantin Kholodilin, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Die allgemeine Krise im Bausektor, die einerseits dem Krieg in der Ukraine, andererseits der Corona-Pandemie geschuldet ist, schlägt auch bei den landeseigenen Unternehmen voll durch - oder besser: kommt noch obendrauf. Denn nicht nur aus Sicht der Gesellschaften selbst wird ihnen schon seit Jahren viel abverlangt. Auch Konstantin Kholodilin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) attestiert den landeseigenen Wohnungsunternehmen, dass ihnen zu viel aufgebürdet wird.

"Sie sollen günstige Mieten von 6,28 Euro pro Quadratmeter sichern und außerdem bauen, Wohnbestände ankaufen und sanieren. Das ist ein schwieriger Spagat", sagt der Ökonom. "Auf der einen Seite die Einnahmen zu bremsen, auf der anderen Seite die Kosten zu erhöhen, das ist fast unmöglich."

Landeseigene Wohnungsunternehmen sind hoch verschuldet

Kholodilin forscht seit zehn Jahren zum Thema Wohnen und Bauen am DIW. Für den rbb hat er die Bilanzen der landeseigenen Wohnungsunternehmen ausgewertet. Deren Verschuldung ist hoch, stellt er fest. Zu 75 Prozent arbeiteten sie mit Fremdkapital, ein Unternehmen sogar mit mehr als 90 Prozent. "Ich bin keine Bank, aber wenn ich eine Bank wäre, würde ich ihnen keine Kredite mehr geben", sagt Kholodilin.

Die Schuldenlast der Unternehmen wächst immer - allein im zurückliegenden Geschäftsjahr 2021 stieg sie um fast 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für alle sechs Gesellschaften liegen die Schulden jetzt bei 17 Milliarden Euro. Ein Drittel der Mieteinnahmen geht bereits für Kreditabzahlungen drauf. Zudem leiden die landeseigenen Unternehmen zurzeit unter Mietausfällen, weil viele private Haushalte mit den gestiegenen Energiekosten zu kämpfen haben.

Zuschuss vom Land für die städtischen Wohnungsunternehmen

Um die sechs Unternehmen finanziell zu stützen, hat die rot-grün-rote Koalition in ihrem Nachtragshaushalt zusätzlich 33 Millionen Euro bereitgestellt. Doch das werde nicht reichen, prognostiziert Kholodilin. Er fürchtet, dass die landeseigenen Wohnungsgesellschaften deutlich mehr Geld vom Land benötigen, um wirtschaftlich stabil zu bleiben. Das deckt sich mit Informationen von rbb|24 Recherche: In Kreisen der städtischen Wohnungswirtschaft ist bereits von einem Milliardenbetrag die Rede, den Berlin bald zuschießen müsse, um die Unternehmen abzusichern.

Auch Reiner Braun vom Berliner Institut Empirica schließt sich dieser Einschätzung an: Angesichts der Situation könne sogar wieder über Privatisierungen landeseigener Wohnungsunternehmen diskutiert werden, wenn diese mit Reparaturen und Instandhaltungen in ihren Beständen nicht mehr hinterherkämen. Fast ein Drittel der landeseigenen Wohnungsbestände ist nach Angaben des Verbandes der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) sanierungsbedürftig. Was Privatisierungen angeht, ist allerdings auch nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl im Februar derzeit keine Koalition denkbar, die darüber ernsthaft nachdenken würde.

Auch private Wohnungsbauer ausgebremst

Dass die Landesunternehmen in einer schwierigen Lage stecken, bekommt auch die Privatwirtschaft zu spüren. Nicht nur, weil sie selbst viele Projekte wegen explodierender Baupreise neu kalkulieren oder zurückstellen muss. Marcus Becker, der Geschäftsführer von Kondor Wessels Bouw Berlin und gleichzeitig stellvertretender Präsident des Bauindustrieverbands Ost, merkt das auch an der Nachfrage der öffentlichen Hand. Rund 3.500 Wohnungen hat sein Unternehmen in den vergangenen drei Jahren in Berlin errichtet, viele davon schlüsselfertig für die landeseigenen Wohnungsunternehmen.

Andere deutsche Kommunen hätten auch in diesem Jahr weiteren Neubau bestellt, doch aus Berlin sei 2022 kein einziger neuer kommunaler Auftrag bei ihm eingegangen, sagt Becker. Es sei frustrierend, wenn man sehe, wie die Politik in den Markt eingreife, sie versuche zu steuern, aber ohne Erfolg.

100.000 neue Wohnungen nicht zu schaffen

Dabei hatte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) mit ihrem "Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen" in der ersten Jahreshälfte noch Hoffnungen geschürt. Der Neubau sollte durch ein neues Miteinander von Staat und Wohnungswirtschaft angekurbelt werden. Im Gegenzug gab es in einem gemeinsam unterzeichneten Bündnispapier im Juni die Zusage der Wohnungswirtschaft, sich für mehr Mieterschutz stark zu machen.

Dass die landeseigenen Unternehmen beim Neubau zulegen konnten, kann allerdings kaum darüber hinwegtäuschen, dass die angestrebten 100.000 neuen Wohnungen in dieser Wahlperiode (die trotz Wiederholungswahl planmäßig bis 2026 weiterläuft) nicht mehr zu schaffen sein werden. Denn auch 2022 gingen die Baugenehmigungszahlen weiter zurück. Die Logik ist simpel: Wohnungen, die heute nicht genehmigt wurden, können morgen nicht gebaut werden.

"Bündnis für Wohnungsneubau" mit überschaubarer Bilanz

Auch beim Mieterschutz hat sich sechs Monate nach der gemeinsamen Bündnisvereinbarung wenig getan. Das zumindest geht aus einer Antwort des Senats an die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger hervor, die dem rbb exklusiv vorliegt. Sie schickte der Stadtentwicklungsverwaltung einen umfangreichen Fragenkatalog, etwa zu den vereinbarten Quoten bei Neuvermietung an einkommensschwächere Mieterinnen und Mieter oder zum Thema "mehr Transparenz bei Mietnebenkosten".

Die Antworten fallen so knapp wie ernüchternd aus. "Die Bündnispartnerinnen und -partner halten sich eigenverantwortlich an die im Bündnis vereinbarten Verpflichtungen", heißt es da lapidar. Will heißen: Bislang hat noch niemand nachgeschaut, ob die beteiligten Wohnungsunternehmen damit begonnen haben, ihre Zusagen auch in die Tat umzusetzen.

Auch bei der Frage, mit welchen weiteren Unternehmen der Senat Gespräche führe, um sie von einem Beitritt zum Bündnis zu überzeugen, fällt die Antwort ausweichend aus: "Der Senat führt Gespräche mit interessierten großen Wohnungsunternehmen, die bislang noch nicht dem Bündnis beigetreten sind, um den Kreis der Bündnispartnerinnen und Bündnispartner zu erweitern." Bislang haben von privater Seite nur Vonovia und die Adler Group die Bündnisvereinbarung vom Juni unterschrieben.

Sendung: rbb24, 14.12.2022, 16:00 Uhr

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Beitrag von Ute Barthel, Jana Göbel und Thorsten Gabriel

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