Reform der Ersatzfreiheitsstrafe - Geldstrafen könnten in Zukunft häufiger abgearbeitet werden

Di 23.08.22 | 12:04 Uhr | Von Carla Spangenberg
Symbolbild: Ein Häftling der Justizvollzugsanstalt (JVA) Robert-von-Ostertag-Straße in Berlin harkt am 28.02.2011 den Innenhof der Haftanstalt. (Quelle: dpa/Tim Brakemeier)
Video: rbb24 Abendschau | 23.08.22 | Carla Spangenberg | Bild: dpa/Tim Brakemeier

Allein in Berlin sind über 360 Menschen in Haft wegen einer Geldstrafe, die sie nicht bezahlt haben. Doch die Ersatzfreiheitsstrafe soll bundesweit reformiert werden. Wie das geschehen soll, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Von Carla Spangenberg

Eigentlich wollte der Berliner Dirk P. nur in Polen Zigaretten kaufen. Auf der Rückfahrt wurde er von der Polizei kontrolliert. Als die Beamten ihm seinen Geldbeutel wegnahmen, platzte P. der Kragen: Er beleidigte sie erst verbal und zeigte ihnen dann den Mittelfinger.

Das brachte ihm einen Strafbefehl über zwei Mal 70 Tagessätze ein, also eine Geldstrafe von 3.500 Euro. Als Hartz-IV-Empfänger konnte Dirk P. dieses Geld aber nicht aufbringen. Auch eine mögliche Ratenzahlung konnte er nicht abstottern.

Nun blieben ihm zwei Möglichkeiten: Entweder eine Ersatzfreiheitsstrafe anzutreten, oder die Strafe abzuarbeiten.

Kein Gefängnis bei kleineren Delikten

Allein in Berlin sind derzeit 364 Menschen in Haft wegen einer Geldstrafe, die sie nicht bezahlt haben. Das sind mehr als zehn Prozent der Gesamtzahl der Inhaftierten. Die häufigsten Delikte sind Fahren ohne Fahrschein, kleinere Ladendiebstähle oder – wie bei Dirk P. – Beleidigung. Offizielle Zahlen zur genauen Verteilung der Delikte gibt es aber nicht.

"Die Delikte sind eher kleinere, also solche, bei denen das Gericht entscheidet, dass von dem Menschen keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, und ihn deshalb nur zu einer Geldstrafe verurteilt", sagt Anja Seick von Freie Hilfe Berlin. Der Verein betreibt Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe und vermittelt Verurteilte unter anderem in gemeinnützige Arbeit. Aus Sicht des Gerichts müssten diese Menschen, also nicht ins Gefängnis.

Gefängnis als letztes und härtestes Mittel

Bis es bei einer Ersatzfreiheitsstrafe tatsächlich zu einer Inhaftierung kommt, ist es ein langer Weg, erklärt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Zunächst erhält der Verurteilte seinen Strafbefehl per Post. Einen solchen gelben Brief hatte auch Dirk P. bekommen. Er hat dann 14 Tage Zeit, Einspruch einzulegen, kann auf eine Verhandlung vor Gericht bestehen oder Angaben zu seiner finanziellen Lage machen, damit gegebenenfalls der Tagessatz angepasst wird. Nach dieser Frist ist das Urteil rechtskräftig und der Beschuldigte bekommt eine Zahlungsaufforderung. Darin wird auch darauf hingewiesen, dass er die Strafe in Raten abbezahlen oder abarbeiten kann. Nur wenn diese Möglichkeiten nicht genutzt werden, wird die Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt.

Dirk P. wollte keinen Einspruch einlegen: Er hatte Angst vor Anwaltskosten oder dass die Strafe dann noch höher ausfallen könnte. Stattdessen leistet er nun gemeinnützige Arbeit beim Verein Freie Hilfe Berlin. Er macht Reparatur-, Maler- und Hausmeistertätigkeiten in den Einrichtungen für betreutes Wohnen des Vereins. Eigentlich ist er ausgebildeter Biologielaborant, aber sein amerikanischer Abschluss wird bisher noch nicht in Deutschland anerkannt. Daran arbeitet er mit Unterstützung des Arbeitsamts.

Verurteilte sind häufig psychisch krank, drogenabhängig oder wohnungslos

Verurteilte haben also die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen und die Strafe abzuarbeiten. Aber das schaffen nicht alle, sagt Anja Seick vom Verein Freie Hilfe Berlin. Das liege vor allem daran, dass die Menschen, die zu einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt würden, häufig eine Vielzahl von Problemen hätten: Drogensucht, Wohnungslosigkeit und psychische Probleme. Sie würden ihre Briefe nicht öffnen und seien nicht in der Lage Einspruch einzulegen, geschweige denn die Strafe durch regelmäßige Arbeit abzuarbeiten.

Eine Reform, die manchen nicht weit genug geht

Auch aus diesem Grund will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) das System nun reformieren: Die Tage, die ein Verurteilter absitzen muss, sollen halbiert werden. Das könnte auch der Allgemeinheit zugutekommen. Denn ein Tag im Gefängnis kostet in Berlin 216 Euro pro Gefangenen. Dieses Geld könnte dann auch für präventive Arbeit in der Drogen- oder Obdachlosenhilfe genutzt werden.

Einigen geht diese Reform aber nicht weit genug: Die Initiative Freiheitsfonds sammelt Geld, um Inhaftierte freizukaufen und setzt sich dafür ein, dass die Ersatzfreiheitsstrafe gänzlich abgeschafft wird. "Die Reform ist nur eine kosmetische Verbesserung", sagt Arne Semsrott vom Freiheitsfonds. "Denn auch schon ein Tag in Haft löst einen Inhaftierungsschock aus, der beispielsweise die psychischen Probleme der Menschen verschlechtern kann. Menschen werden weiterhin für ihre Armut bestraft."

Berlin schlägt Anpassung der Tagessätze an Vermögensverhältnisse vor

Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) begrüßt den Vorstoß, die Zahl der abzusitzenden Tage zu halbieren. Auf Anfrage erklärt sie: "Wir halten aber dennoch an der grundsätzlichen Kritik an Ersatzfreiheitsstrafen fest, weil sie in der Praxis oft Menschen betrifft, die ihre Strafe nicht zahlen oder abarbeiten können, weil sie psychisch krank oder suchtkrank sind."

Kreck schlägt eine nachträgliche Änderung der Tagessätze vor. Das heißt, dass die von den Gerichten verhängte Geldstrafe besser an die tatsächlichen Vermögensverhältnisse des Betroffenen angepasst werden sollen. Außerdem plädiert sie dafür, die gesetzliche Option, auf die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zu verzichten, weniger restriktiv auszulegen und häufiger anzuwenden.

Wohl keine Abschaffung in Sicht

Eine gänzliche Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe ist nach der Justizreform, die nun auf dem Tisch liegt, aber nicht vorgesehen. Justizminister Buschmann erklärte, die Ersatzfreiheitsstrafe sei ein "notwendiges Übel", denn die Justiz müsse "den Menschen klarmachen, dass es Konsequenzen hat, wenn sie eine Geldstrafe nicht zahlen." Die Drohkulisse Gefängnis soll also bestehen bleiben.

Doch Buschmanns Entwurf sieht auch vor, dass die Menschen rechtzeitig und auf angemessene Weise darauf hingewiesen werden, dass sie die Strafe auch abarbeiten können, sodass sichergestellt sei, dass die Information sie auch wirklich erreiche.

Dirk P. findet diese Maßnahme sinnvoll: "Ich finde es schön, dass ich damit benachteiligten Menschen helfen kann. So gibt man der Gesellschaft auch etwas zurück.“

Die geplante Reform wird voraussichtlich dieses Jahr noch durch den Bundestag und Bundesrat gehen und im kommenden Frühjahr in Kraft treten.

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Sendung: rbb24 Abendschau, 23.08.2022, 19:30 Uhr

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