Wohnungsnot in Berlin - Kommt jetzt der Vermieterdeckel?
Preistreibende Unternehmen sollen raus aus dem Berliner Wohnungsmarkt, erlaubt bleibt nur die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum: Das ist die Idee eines Wirtschaftsrechtlers. Doch kann das rechtlich funktionieren? Von Tobias Schmutzler
Was wäre, wenn das Land Berlin die Unternehmen, die die Mieten besonders hochtreiben, einfach aus dem Markt werfen würde? Für Stefan Klinski ist das mehr als ein Gedankenspiel. Der Professor für Wirtschaftsrecht an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht glaubt, ein beschränkter Zugang zum Wohnungsmarkt könnte die Lösung für das wohl größte Problem in Berlin sein. Und tatsächlich zeigt sich die Regierungskoalition interessiert an Klinskis Vorschlag.
Kurz zusammengefasst ist seine Idee: Ein neues Landesgesetz soll regeln, wer in Berlin Wohnungen vermieten darf und wer nicht. Weiterhin zugelassen wären alle, die bezahlbaren Wohnraum schaffen. Ausgeschlossen würden dagegen Unternehmen, die im Verdacht stehen, die Preise hochzutreiben - darunter Firmen, deren Anteile am Finanzmarkt gehandelt werden, die ihre Eigentumsverhältnisse nicht offenlegen und ihre Gewinne in Steueroasen verlagern. Also konkret: einige Aktiengesellschaften, Immobilienfonds und Hedgefonds.
Vermieter müssten eine staatliche Genehmigung beantragen
Der Begriff Vermieterdeckel drängt sich da geradezu auf. "Ich hätte den Begriff selbst nicht gewählt. Ich bin Jurist, und würde da eher den fachlichen Begriff wählen: Marktzugangsbeschränkungen", sagt Klinski. Die Deutsche Wohnen, die in Deutschland als Aktiengesellschaft notiert ist, wäre dann zum Beispiel raus aus dem Wohnungsmarkt. Solche Unternehmen auszuschließen, würde aus Klinskis Sicht eines der "großen Probleme" lösen: "Durch den besonders hohen Renditedruck am Kapitalmarkt entsteht auch Druck auf Mieten und Grundstückspreise."
Um vermieten zu dürfen, würden alle eine Genehmigung bei einer staatlichen Behörde beantragen müssen. Wer nach mehreren Jahren keine Genehmigung bekommt, soll seine oder ihre Wohnungen verkaufen müssen. Eine Umwandlung in Eigentumswohnungen wäre dabei verboten.
Der Wirtschaftsrechtler hofft, dass auch die Mieten in Berlin sinken würden. Garantiert ist das aber nicht, gibt er zu: "Automatisch sinken sie nicht. Der Vorschlag versucht aber an den Ursachen anzusetzen, an den Strukturen des Wohnungsmarkts." Klinski rechnet allerdings ziemlich sicher damit, dass die Grundstückpreise sinken würden. "Und damit wird auch der Neubau erleichtert."
FDP: Vermieterdeckel würde Wohnungsmarkt nötiges Kapital entziehen
Ganz anders sieht das Björn Jotzo. Er ist Sprecher für Stadtentwicklung der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Der Vermieterdeckel würde aus seiner Sicht "dem Berliner Wohnungsmarkt gerade das Kapital entziehen, das für Investitionen, energetische Modernisierung und Neubau dringend gebraucht wird".
Aus Jotzos Sicht sind finanzstarke Unternehmen, darunter eben auch Aktiengesellschaften und Immobilienfonds, nicht die Feinde des Wohnungsmarkts, sondern sollten als Partner gesehen werden. "Der Staat allein kann diese Aufgaben nicht leisten", sagt Jotzo dem rbb. "Nur gemeinsam mit dem Kapitalmarkt wird Berlin in der Lage sein, die notwendigen Investitionen in der erforderlichen Geschwindigkeit zu stemmen und ausreichend Wohnraum in Berlin zu schaffen."
Eine Marktzugangsbeschränkung, wie sie Klinski fordert, würde den Mietmarkt "verengen", findet der FDP-Politiker. "Umziehende, Wohnungsuchende und Neuankömmlinge finden weiterhin in allen Preissegmenten keine Wohnungen mehr". Die Nutznießer wären nach Jotzos Überzeugung dann "ausschließlich Bestandsmieter mit vergleichsweise sehr niedrigen Mieten, die auf Kosten der Allgemeinheit niedrig gehalten werden sollen".
Droht ein rechtliches Fiasko wie beim Mietendeckel?
Abseits der Frage, ob die Idee sinnvoll ist oder nicht, drängt sich mindestens ein anderes großes Aber auf: Ist das alles rechtlich möglich? Oder würde hier ein zweites Fiasko vor Gericht drohen, vergleichbar zum gescheiterten Mietendeckel? Klinski beschwichtigt: Die rechtlichen Risiken habe er in einem 50-seitigen Gutachten [gesellschaftfuernachhaltigkeit.de/PDF] ausgeräumt. Verfassungsrecht, Europarecht - nichts stünde seinem Vorschlag entgegen, sagt er in der rbb24 Abendschau.
Der Mietendeckel ist daran gescheitert, dass das Bundesverfassungsgericht urteilte, die Bundesländer dürften Mietrecht nicht regeln - also zum Beispiel Obergrenzen für die Miethöhe. Das hatte aus Sicht des Gerichts schon der Bund mit seiner Mietpreisbremse geregelt. Sein Modell dagegen, so Klinski, würde in den Wohnungsmarkt an sich eingreifen und falle damit in den Bereich des Wirtschaftsrechts. Die Frage, wer am Wohnungsmarkt teilnehmen könne, sei bisher nie Gegenstand mietrechtlicher Bestimmungen des Bundes gewesen.
Natürlich wäre der Vermieterdeckel ein sehr harter Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Unternehmen, schreibt Klinski in einem Artikel auf dem Verfassungsblog [verfassungsblog.de]. Doch er sei zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht in einer "besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung" für die Mieterinnen und Mieter entscheiden würde: Denn das "überragend wichtige Gemeinschaftsgut" des Rechtes auf Wohnen sei in der Berliner Verfassung garantiert. Genau dieses Gut sei aktuell in Metropolen wie Berlin ernsthaft gefährdet. FDP-Politiker Jotzo sieht das anders: Er schätzt die Verfassungsmäßigkeit der Idee als "zweifelhaft" ein.
SPD findet die Idee "charmant" und will sie prüfen
Deutlich aufgeschlossener für den Vorschlag ist Melanie Kühnemann-Grunow, baupolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. "Es wäre charmant, wenn das alles so ginge", sagt sie dem rbb. "Es darf keine Denkverbote geben. Bauen ist nicht das Allheilmittel." Die Koalition habe bereits einige Dinge in der Wohnungspolitik angestoßen, etwa den Mietendeckel oder das Vorkaufsrecht. "Aber wir haben uns dabei oft eine blutige Nase geholt", so Kühnemann-Grunow. "Deshalb müssen wir diese Idee jetzt wirklich rechtlich prüfen und sehen, inwiefern sie sich umsetzen lässt." Der wissenschaftliche Parlamentsdienst und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung prüften das Modell bereits.
Auch Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, sieht den "Vermieterdeckel" als "Chance, den Berliner Wohnungsmarkt besser in den Griff zu bekommen". Es seien aber noch einige Fragen zu klären, so Schmidberger. Mit Blick auf die Firmen, die nach der Idee vom Markt ausgeschlossen würden, sagt sie, dass beispielsweise Vonovia zwar börsennotiert ist, aber "relativ günstige Mieten" anbiete. Hier müsse man also genau schauen, wie das Verhalten verschiedener Unternehmen juristisch zu bewerten sei.
Viele Ideen sind auf dem Markt
Klinski sieht seinen Vorschlag als Alternative zu der umstrittenen Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Zuletzt hat es einige große Lösungsideen für das Wohnungsproblem gegeben: Zum Beispiel die Mietensteuer, ein Vorschlag von zwei SPD-Abgeordneten. Sie wollen eine Abgabe für Vermieter, die besonders teure Mieten verlangen. Bei den Grünen hat Verkehrssenatorin Bettina Jarasch gerade einen Vorschlag aus dem Wahlprogramm wieder rausgeholt: einen fünfjährigen Mietenstopp. Den könnte auch das Wohnungsbündnis unter Senatsleitung vereinbaren, dass bis Juni seine Ergebnisse präsentieren will.
Neben den anderen Vorschlägen erscheint der von Stefan Klinski als einer der radikalsten. Erste Gespräche mit Politikerinnen und Politikern habe er schon geführt. Jetzt ist die Frage, ob die rot-grün-rote Koalition seine Idee aufgreifen wird.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21.05.2022, 19:30 Uhr