#Wiegehtesuns? | Schüleraustausch - "Corona haben wir in den USA erst gar nicht ernst genommen"
Am Flughafen Berlin-Tegel wird Liborius von seiner Familie mit Fähnchen begrüßt. Der Siebzehnjährige ist als einer der letzten deutschen Austauschschüler aus dem Corona-Hochrisikogebiet USA in die Bundesrepublik zurückgekehrt. Warum? Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Liborius (17) verbringt ein Schüleraustauschjahr in den USA: um neue Erfahrungen zu machen, Sprache und Kultur der Weltmacht kennenzulernen. Seit Mitte Juli lebt er wieder mit seinen Eltern und fünf Geschwistern am Stadtrand von Berlin. So geht es Liborius:
Nach gut einem Monat habe ich mich wieder an die deutsche Sprache und Kultur gewöhnt. Ich war im Rotary-Jugendaustausch und Gast bei zwei verschiedenen Familien in Reno im US-Bundesstaat Nevada. Seit einigen Tagen bin ich nun in der 11.Klasse des Gerhard-Hauptmann-Gymnasiums in Köpenick. Es war ausgerechnet die Berliner Schule, welche nach den Sommerferien wegen eines Corona Falls in der Lehrerschaft als erste wieder schloss.
Corona haben wir in den USA erst gar nicht ernst genommen. Wir erfuhren aus dem Fernsehen davon und dachten: ein Virus aus China, was soll uns der hier am Rande der Wüste Nevadas schon antun? Aber dann ging es superschnell. Wir wurden fast vom Lockdown überrascht, hatten Online-Schule von heute auf morgen. In der ersten Zeit war es schon etwas langweilig. Aber mit meinen Freunden waren wir viel draußen in der Natur. Das Land ist so groß und wir sind in die Wüste gegangen, um dort Motorcross zu fahren. Andere haben dort schießen geübt.
Davor hatten wir normalen Unterricht auf einer US-High-School. Im Vergleich zu Deutschland ist die Schule nicht so anspruchsvoll. Man muss schon richtig dumm sein, um dort nicht zu bestehen. Niemand hat sich dann beim Onlineunterricht bei seinen Noten verschlechtert. Wenn es das Wetter zuließ, fuhr ich immer mit dem Fahrrad zur Schule. Das macht dort fast keiner und war schon ungewöhnlich. Jeder hat mit 16 Jahren sein eigenes Auto, was er auf dem sehr großen Schulparkplatz abstellen kann.
Leider fiel in der Corona-Zeit eine geplante Reise ins Disneyland mit meiner Gastfamilie genauso ins Wasser, wie ein organisierter, dreiwöchiger Trip mit anderen Austauschschülern an die Ostküste mit Washington und New York. Aber nicht in den Corona-Hotspot nach New York zu reisen, war schon besser.
Angst vor Corona hatte ich nicht wirklich. In meiner zweiten Gastfamilie war der Gastvater Marshall bei der Feuerwehr. So erfuhren wir immer aus erster Hand, wie es um die Virusverbreitung und Ansteckungsgefahr steht.
Ich wollte mein Austauschjahr unbedingt zu Ende führen, denn es war großartig. Ich habe viel dazu gelernt, wurde eigenständiger. In Abstimmung mit Rotary, meiner Austauschorganisation, den örtlichen Behörden, meiner Gastfamily und natürlich meinen Eltern konnte ich bis zum geplanten Ende in den USA bleiben. Obwohl meine Mutter mich gerne früher wieder zu Hause haben wollte, weil sie Angst hatte, es gehen irgendwann keine Flüge mehr. Aber das war dann mit einigen Umbuchungen kein Problem.
Andere Austauschschüler in Reno aus Norwegen, Spanien, Portugal oder Mexiko waren alle vor mir weg. Vermutlich war ich einer der letzten deutschen Austauschschüler in den USA, der wieder in die Heimat zurückkehrte.
Mein Rückflug nach Deutschland war superpünktlich. Es ging von Reno über San Francisco nach Frankfurt-Main und dann nach Berlin. Natürlich immer mit Mund- und Nasenschutz und der permanenten Aufforderung, Abstand zu halten und sich die Hände zu waschen. Auf dem Langstreckenflug hatte ich sogar eine Reihe für mich alleine. Ansonsten gab es an Bord wie gewohnt Essen- und Trinken und zur Unterhaltung die Multimediabildschirme.
In Tegel war es wie auf einem Geisterflughafen. Als ich meine Eltern und fünf Geschwister wieder in die Arme schloss, glaubte ich kaum, dass TXL noch der vielgerühmte und bedeutende Hauptstadtflughafen ist. Kaum Menschen waren in der Empfangshalle zu sehen. Am Terminal A gab es ohne Probleme reichlich Parkplätze.
In die Sommerferien ging es aber erst mal nicht. Mein Vater hatte beim Gesundheitsamt und bei Ärzten nachgefragt, was bei einer Rückkehr aus einem Corona-Hochrisikoland zu beachten ist. Die Aussagen reichten vom Abholen durch nur ein Familienmitglied und der Autofahrt vom Flughafen nach Hause bei offenem Fenster. Dann sofortige Quarantäne und dem Verbot zum Verlassen des privaten Grundstücks. Gleich am Folgetag waren wir bei einem Hausarzt zum Corona Test. Der Doktor schob mir ziemlich tief das Stäbchen in die Nase. Das tat etwas weh und war unangenehm. Aber der Schmerz verging schnell wieder. Fünf Tage später hatten wir das Ergebnis: negativ! Und die kurzen gemeinsamen Sommerferien mit der Familie konnten beginnen.
Gesprächsprotokoll: Rocco Thiede
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