Kontaktverbote in Berlin - "Sex fehlt mir tatsächlich extrem"
Soziale Distanzierung betrifft auch das Bett: Das Kontaktverbot wegen des Coronavirus erschwert Menschen das Sexleben, die nicht in klassischen Zweierbeziehungen leben und sich sexuell ausleben möchten. Vanessa Klüber protokolliert drei Stimmungsberichte aus Berlin.
Johannes*, 32
Ich wohne alleine, habe aber mindestens eine Beziehung, wenn nicht sogar mehrere, gehe normalerweise auf Sexpartys und organisiere sogar welche. Aber die sind ja jetzt alle zu. Schon als das Virus nach Europa schwappte, waren die Partys leer. Zwei, drei Wochen, bevor hier irgendwelche Quarantäne-Anordnungen kamen.
Deshalb habe ich gerade wenig Sex, zwangsweise nur Sex mit mir selbst. Das zwar gerne, aber der ganze andere Teil meiner Sexualität fehlt. Meine Primärpartnerin ist gerade in Quarantäne. Die anderen trauen sich alle gerade nicht, haben Angst.
Ich habe für mich persönlich entschieden, dass ich keine Leute treffe, die ich nicht schon mindestens vor einem Monat getroffen habe. Das ist vielleicht eine komische selbstgewählte Regelung. Aber meine Überlegung ist: Wenn wir uns vor einem Monat gesehen haben, hätten wir uns anstecken können.
Es ist schon schwierig, weil jetzt ein Großteil meines Lebens weggebrochen ist: dieses Freie, Ungezwungene - aber trotzdem Intimität aufbauen. Sich auszuprobieren, und die Achtsamkeit dabei.
Auf solche Partys gehen und verschiedene Beziehungsformen leben hat etwas mit Lebensqualität zu tun, mit Glücklichsein und mit Erfülltsein.
Wenn das noch lange fehlt, weiß ich nicht, was ich dann mache. Neben der allgemeinen Angst und depressiven Stimmung kommt das eben noch drauf.
Wenn man ein bisschen das Gefühl hat, die Welt bricht vor einem zusammen, ist das nicht gut für die Libido.
Emilia*, 33
Ich habe jemanden vor zwei Wochen in einem Café kennengelernt, mit dem ich mich regelmäßig treffe, um Sex zu haben. Wir haben gerade nur den Kontakt mit uns beiden und er wohnt derzeit alleine – trifft nicht noch mehr Leute, und wir treffen uns nicht so häufig. Dadurch ist das Risiko minimal. Er wohnt auch um die Ecke. Wäre er weiter weg oder würde in einer großen WG wohnen, dann würde das definitiv ausfallen. Ich glaube, ich bin da in einer sehr günstigen Situation.
Es ist relativ frisch mit ihm, aber wir haben über das Thema Coronavirus gesprochen. Er war vorher im Urlaub und ich wollte wissen, in welcher Region. Das sind schon so Sachen, die plötzlich relevant werden.
Er meinte, er hat zuerst noch nebenbei getindert, hat das gerade aber komplett eingestellt. Das bringt halt nichts, weil die Leute vorsichtig sind - zurecht. Misstrauisch bin ich tatsächlich nicht. Ich vertraue, dass er das deaktiviert hat, und er meinte, er ist sowieso jemand, der nicht viel unter Menschen ist.
Mir geht’s ansonsten ganz gut. Ich würde auch alleine klarkommen, mit mir selbst. Masturbation. Es ist nicht gerade so, dass ich sage, ich müsste jetzt jemanden treffen. Ich habe auch mit Arbeit genug zu tun und andere Projekte. Ich habe natürlich auch das Glück, dass ich in einer WG wohne, so dass keine soziale Isolation stattfindet.
Aber ich habe auch durchaus Freunde in meinem Umfeld, die Single sind und alleine wohnen, und für die ist es tatsächlich gerade sehr schwierig. Die sagen: Es fängt an, Körperlichkeit zu fehlen, und dann hilft halt Masturbieren irgendwann auch nicht mehr, da helfen Videocalls mit Freunden nicht mehr. Man merkt, dass das bei denen mittlerweile auf die Stimmung schlägt und schon belastend ist.
Matthias, 35
Ich bin zwar Berliner, wohne aber in Belgrad, und meine serbische Freundin und ich sind in einer offenen Beziehung. Unser Plan war, für einen Monat gemeinsam nach Berlin zu kommen. Ich bin vorgeflogen und sie wollte nachkommen. Aber dann ging es mit der ganzen Corona-Nummer so richtig los. Ich wollte dann spontan zurück nach Hause fliegen, aber genau an dem Tag wurde klar, dass Serbien die Grenze dichtmacht und keine Deutschen mehr reinlässt. Jetzt also Fernbeziehung auf unbestimmte Zeit. Irgendwie nicht so cool.
Eine Umarmung, oder einfach mal Arm in Arm im Bett liegen wäre ja schon mal schön. Davon abgesehen: Sex fehlt mir tatsächlich extrem.
Meine Freundin und ich sind generell sehr sexuelle Menschen. Es kommt schon vor, dass wir fast jeden Tag Sex haben, trotz Zusammenlebens seit zwei Jahren. Und das letzte Mal ist eben schon ein paar Wochen her, ich bin heute auf den Tag seit drei Wochen hier.
Unsere Beziehungssituation macht es uns möglich, andere Leute zu sehen. Aber ich ziehe das mit dem alleine zu Hause bleiben schon durch. Keine Ahnung, inwiefern ich jemanden von Tinder treffen würde. In dieser aktuellen Situation bin ich jetzt nicht darauf aus, unbedingt möglichst schnell eine fremde Person zu treffen, um Sex zu haben. Erstmal einfach ein bisschen Appetit holen – und stillen. Was ich gerade so fleißig betreibe wie nie, ist Sexting. Bilder austauschen, Dirty Talk, auch mal als Voicemail. Das tut zurzeit echt gut.
Ich schreibe außerdem mit mehreren Single-Freunden und Freundinnen und wir heulen uns alle beieinander aus, wie geil wir zurzeit sind. Das ist irgendwie auch ganz schön und verbindet nochmal ganz anders. In meinem Bekanntenkreis sind auch alle sehr vorsichtig und sehen die Kontaktverbote ein. Ich sehe es auch bei Tinder, wahnsinnig viele Frauen schreiben da: "Für Treffen nach der Krise".
Ich glaube, ich halte es schon noch eine Weile ohne Sex aus. So dringend, so lebensbedrohlich ist es dann irgendwie doch nicht. Ich würde die nächsten zwei Monate schon überleben. Aber es wäre doch echt schön, wenn sich zeitnah eine Gelegenheit böte.
Zu allem hinzu kommt der Stress, nicht zurückreisen zu können. Eine Freundin zu haben, sie aber nicht sehen zu können- das geht weit übers Körperliche hinaus. Wenn du aufgrund der Situation "nur" keinen Sex bekommst, ist das eine Sache. Aber in einer glücklichen und sexuell erfüllten Beziehung zu sein und die nicht sehen zu können - das finde ich noch einen Zacken heftiger.
*Johannes und Emilia heißen eigentlich anders und wollen anonym bleiben.
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