Prozess steht kurz vor den Plädoyers - Urteil gegen mutmaßlichen SS-Wachmann könnte Anfang Juni fallen

Mo 16.05.22 | 20:59 Uhr
Der angeklagte ehemalige 101-jährige KZ-Wachmann (Quelle: DPA/Fabian Sommer)
Audio: Antenne Brandenburg | 16.05.2022 | Lisa Steger | Bild: DPA/Fabian Sommer

Nach einer mehrwöchigen Verzögerung wegen Erkrankungen des 101-jährigen Angeklagten geht der Prozess gegen einen früheren mutmaßlichen Wachmann des KZ Sachsenhausen in die Schlussphase. Ein Urteil könnte Anfang Juni fallen.

Wahrscheinlich werde der Staatsanwalt am Dienstag seinen Schlussvortrag halten, sagte der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann am Montag in Brandenburg (Havel). Das Plädoyer der Verteidigung sei für den 1. Juni geplant. Ein Urteil könnte dann am 2. Juni fallen. Lechtermann betonte jedoch, dass dies nur eine vorläufige Planung sei.

Angeklagter weiter eingeschränkt verhandlungsfähig

Der 101-jährige Angeklagte wurde am Montag nach einer überstandenen Corona-Erkrankung und der Operation eines Fußgeschwürs als weiter eingeschränkt verhandlungsfähig eingeschätzt - wie auch schon vor der Erkrankung. Wegen seines hohen Alters darf nur zwei bis zweieinhalb Stunden pro Tag verhandelt werden.

Für sein hohes Alter sei der Angeklagte nach Angaben seines behandelnden Arztes, insbesondere was die Lungen- und Herzfunktion angehe, "beeindruckend stabil". Der Fuß sei noch nicht ausgeheilt, aber auf gutem Wege.

Der Angeklagte kam am Montag mit einer Verspätung von rund einer Stunde zum Verhandlungsort in Brandenburg (Havel). Er hatte nach eigenen Angaben zunächst nicht gewusst, dass er an diesem Tag zum Verfahren kommen sollte.

Keine weiteren Nebenklagen in der Verhandlung

Zwei Fälle von Nebenklägern werden im Prozess derweil nicht mehr behandelt.

Der Vater des niederländischen Nebenklägers Christoffel Heijer, ein Widerstandskämpfer, wurde nach Angaben des Vorsitzenden Richters in Sachsenhausen aufgrund des Todesurteils eines Militärgerichts nach nur wenigen Tagen erschossen. Lechtermann sagte, es sei praktisch nicht mehr aufklärbar und würde den Fall sprengen.

Bei einem anderen Fall ging es um ein Kind im KZ Sachsenhausen, das damals offensichtlich aus unklaren Gründen zur Mutter - einer Zwangsarbeiterin - nach Thüringen gekommen sei.

Beihilfe zum tausendfachen Mord vorgeworfen

Der Brandenburger soll bis Mitte Februar 1945 rund drei Jahre lang in Sachsenhausen als SS-Wachmann, zuletzt im Rang eines Rottenführers gedient haben. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin wirft ihm Beihilfe zu mehr als 3.500 Morden vor. Der Angeklagte bestreitet, SS-Wachmann gewesen zu sein. Zahlreiche Unterlagen, unter anderem von der SS, sprechen jedoch dafür. Sie sollen seine Identität belegen.

Ende März hatte der Vorsitzende Richter überraschend einem Antrag der Verteidigung stattgegeben: Sollte der Prozess weitergehen, sollten vier weitere Zeugen geladen werden, die mit dem Angeklagten zeitgleich im SS-Wachbataillon in Sachsenhausen gedient haben sollen. Dazu kommt es nun nicht mehr, denn drei Zeugen sind nicht vernehumgsfähig, der vierte will nicht aussagen, um sich selber nicht zu belasten.

Im KZ Sachsenhausen waren zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.05.2022, 14:00 Uhr

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