Ein "Dooring"-Unfall täglich in Berlin - Unfallrisiko Autotür

Mo 16.05.22 | 17:23 Uhr
Symbolbild: Dooring-Unfälle (Quelle: dpa/Barbara Gindl)
Video: Super.Markt | 16.05.2022 | Bild: dpa/Barbara Gindl

Jeden Tag verunglückt im Schnitt ein Radfahrender in Berlin durch eine geöffnete Autotür. Neben den körperlichen Verletzungen leiden Betroffene oft auch an psychischen Folgen. Dabei sind auch sie oft mitverantwortlich für die Unfälle. Von Ben Muhs

Ein Albtraum für Radfahrende: Direkt vor ihnen öffnet sich bei voller Fahrt eine Autotür - ein Zusammenstoß ist nicht mehr zu vermeiden. Im Durchschnitt passiert das in Berlin nach Informationen der Polizei seit 2018 bis Anfang 2022 einmal am Tag.

6,5 Prozent aller Fahrradunfälle in Berlin sind demnach sogenannte Dooring-Crashs, in denen das Opfer von rechts getroffen wird. Von der Beifahrerseite sind es dagegen nur 1,8 Prozent.

Heute trägt sie einen Radfahrer-Airbag

Oft bleiben bei den getroffenen Radfahrern gesundheitliche Folgen aufgrund der Verletzungen oder ein langer Rechtsstreit über die Schuldfrage. Sie leiden dann teils jahrelang. So wie Lucas Baade, dem immer wieder der Puls in die Höhe schnellt, wenn er, selbst Mitarbeiter beim rbb, seinen Kollegen von Super.Markt vom rbb von seinem Unfall erzählt. Dabei ist sein Unfall schon zehn Jahre her. "Ich möchte es nicht wieder erleben", sagt er.

Auch Julia Oehring sagt, sie wird den Tag nie vergessen, als sich plötzlich die Tür eines parkenden Autos öffnet und sie fast ungebremst in die Tür rast. Das Schmerzensgeld von der Versicherung des Verursachers für die erlittene Gehirnerschütterung, die geprellten Rippen und eine geprellte Hüfte ist mit 500 Euro überschaubar. Heute trägt sie einen Radfahrer-Airbag.

Unfallforscher und Verkehrsexperte: Ausbau auf Kosten der Sicherheit

Berlin baut das Radwegenetz aus, doch nach Meinungen von Verkehrsexperten können Sicherheitsabstände dabei nicht immer eingehalten werden. Unfallforscher Siegfried Brockmann sagt, der notwendige Abstand sei auf vielen Berliner Straßen ein Ding der Unmöglichkeit, weil die Straßen zu eng sind. Was der Gesetzgeber einfordert, lasse sich in der Realität für Verkehrsteilnehmer oft nicht umsetzen.

Auch Verkehrsexperte Dirk von Schneidemesser vom Verein Changing Cities meint, der Ausbau des Radverkehrs ginge leider immer noch zu oft auf Kosten der Sicherheit. "Die Politiker und die Politikerinnen rufen schon seit Jahrzehnten zu mehr Radfahren auf, aber die lassen die Bürgerinnen und Bürger alleine damit, die Infrastruktur bietet es nicht, dass wir dann sicher und bequem unterwegs sein können", sagt er.

Mindestens 80-100 cm Abstand für Radfahrende

Dabei ist die Straßenverkehrsordnung eindeutig: Jeder Autofahrende ist dazu verpflichtet, für die Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer Sorge zu tragen. Wer ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist. Doch es gibt noch eine zweite Seite: Radfahrende müssen ihrerseits einen Abstand zu den parkenden Autos einhalten, und zwar zwischen 80 und 100 Zentimeter, sonst gelten sie vor Gericht als mitschuldig am Unfall.

Abiturient Paul Rehbach war gerade 11 Jahre alt, als er mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Schule verunglückte. Auch heute noch kann er sich sehr genau an die Situation erinnern, wie ihn die Tür von der Seite erwischte und auf die Gegenfahrbahn katapultierte. Die Unfallverursacherin soll sich zwar vergewissert haben, ob alles ok sei, verließ dann aber den Unfallort, genau wie Paul. Hier ist die Gesetzeslage klar: Wer nach einem Dooring-Unfall den Ort verlässt, ohne zumindest Kontakt oder Versicherungsdaten dazulassen, erfüllt den Tatbestand der Fahrerflucht. Die Mitteilung alles sei ok, reicht nicht aus.

"Holländischer Griff" verringert das Risiko

Dabei können Autofahrerinnen und Autofahrer selbst das Unfallrisiko zumindest ein bisschen minimieren: Mit dem sogenannten holländischen Griff wird die Tür nicht mit der linken, sondern der rechten Hand geöffnet. Diese untypische Bewegung soll dazu beitragen, sich der Gefahrensituation bewusst zu werden und den Kopf nach hinten zu neigen. Ein zusätzlicher Blick in den Seitenspiegel ist deshalb wichtig, weil ein Radfahrer mit 20 Stundenkilometern einen Weg von elf Metern braucht, um noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen.

Zusätzlich kann auch moderne Auto-Technik Dooring-Unfälle verhindern helfen. Radar-Sensoren warnen die Fahrerinnen und Fahrer, einige Modelle blockieren im Gefahrenfall sogar schon für knapp eine Sekunde das Türschloss. Diese Sekunde reiche schon aus, um die Autofahrer daran zu hindern, die Tür in dem Moment aufzureißen, so Unfallforscher Brockmann.

Der Dooring-Unfall von Lucas Baade hat sich tief bei ihm eingebrannt. Er wurde, wie er sagt, vom Verursacher verklagt, sollte dessen Tür bezahlen, weil er angeblich den Sicherheitsabstand nicht eigenhalten hatte. Seine Lehre: Abstand halten um jeden Preis, auch wenn man die Fahrbahn damit dicht macht. Und im Zweifel lieber das Hupen von hinten in Kauf nehmen, als die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Sendung: SUPER.Markt, 16.05.22, 20:15 Uhr

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