Gewalt gegen schwulen Geflüchteten - "Soll ich jetzt aufpassen, was ich anziehe?"

Di 05.04.22 | 08:21 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
Christopher Street Day in Köln.
Bild: imago images / Ralph Peters

In seinem Heimatland wird Homosexualität mit dem Tode bestraft. Auch deswegen beginnt Daniel in Berlin ein neues Leben und fühlt sich sicher. Bis er in Kreuzberg zusammengeschlagen wird. Von Efthymis Angeloudis

"Wenn ihr bloß verstehen könntet, was für ein Segen es ist, queer oder schwul in Europa zu sein", schrieb Daniel am Freitag in sein Instagram-Profil. Dazu ein Selfie. Er liegt auf dem Gras und lächelt unbekümmert in die Kamera. Die Sonne scheint. Daniel heißt eigentlich anders, hat sich aber für diesen Namen entschieden, als er vor genau fünf Jahren aus dem Nahen Osten nach Berlin floh. Er wollte damals frei und in Sicherheit leben.

Am Tag nach dem Instagram-Post läuft er mit einer Freundin durch Kreuzberg. Er schiebt sein Rad neben sich her, als er nach eigenen Angaben an der Kreuzung zwischen Oranienstraße und Adalbertstraße Faustschläge abbekommt. Erst auf die Schulter, dann ins Gesicht. Drei Männer zwischen 40 und 50 beleidigen ihn dabei. "Ibne", sollen sie gerufen haben - türkisch für schwul.

Ohne Videomaterial oder Zeugen kein Verfahren

Er fällt zu Boden und schützt sein Gesicht, doch seine Angreifer lassen nicht nach. "Sie wollten mein Gesicht treffen. Sie wollten, dass mein entstelltes Gesicht als Abschreckung dient", sagt er rbb|24 am Montag. Seine Freundin wird auch bedroht, sie solle verschwinden, sonst kriege sie auch Schläge ab.

"Und dann, als ob nichts wäre, ließen sie von mir ab, drehten sich um und spazierten gemütlich davon." Hier hätte Daniels Geschichte zu Ende gehen können - Anzeige gegen unbekannt, ein blaues Auge und das Ohnmachtsgefühl, dass die Angreifer einfach ungestraft davon gekommen wären.

Das wäre bei weitem kein Einzelfall. "Im Durchschnitt bekommen wir täglich von Übergriffen auf LSBTI [Lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und intergeschlechtliche Menschen, Anm.d.Red.] mit", sagt Bastian Finke vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo. Für das Jahr 2020 hatte Maneo 510 Fälle von Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffen gegen Homosexuelle und Transsexuelle erfasst. Der größte Anteil der Taten richtete sich gegen schwule Männer. Das Dunkelfeld nicht gemeldeter oder angezeigter Fälle sei allerdings sehr hoch. "Wir schätzen es auf 80 bis 90 Prozent."

Viele dieser Fälle hätten keine juristischen Konsequenzen. "Problematisch wird es, wenn die Täter unerkannt bleiben. Wenn Videomaterial oder Zeugen fehlen, werden Verfahren in der Regel eingestellt", erklärt Finke.

Vermeintliche Angreifer lachen ihn aus

Dieser Gefahr war sich auch Daniel bewusst, als er am Samstagnachmittag angegriffen wurde. "Das wird nicht meine Geschichte", habe er sich gesagt, als er am Boden lag. "Ich werde nicht schweigen." Der 33-Jährige steht auf und läuft den Angreifern mit dem Handy in der Hand hinterher. "Ich habe die Polizei verständigt und wollte die Täter aufhalten, Videos von Ihnen machen, um Beweise zu haben. Ich wollte laut sein, damit sie jemand aufhält." Doch anstatt Hilfe zu bekommen, stürmen etwa zehn Männer aus einem Laden, um den Angreifern beizustehen, erinnert sich Daniel.

Einige versuchen ihn zu fassen, wie man den Videoaufnahmen, die rbb|24 vorliegen, entnehmen kann. Eine Frau kommt ihm zu Hilfe, filmt die Männer dabei, wie sie Daniel bedrohen und über die Adalbertstraße jagen. Als die Polizei ankommt, lachen die Männer Daniel aus. Uns kann nichts geschehen, sollen sie ihm gesagt haben.

"Dieses Lachen werde ich nicht vergessen", sagt Daniel. Einen 30-jährigen Verdächtigen konnten die Einsatzkräfte dennoch in unmittelbarer Nähe zum Tatort festnehmen. Er kam zur Erkennung in Polizeigewahrsam, bevor er anschließend wieder frei kam.

Kreuzberg, Nord-Neukölln, Mitte und Schöneberg

Zu den häufigsten Orten für Angriffe gehören laut Maneo Kreuzberg, Nord-Neukölln, Mitte und Schöneberg, "aber das sind auch die Fälle, die uns gemeldet werden", fügt Finke hinzu. "Da wo LSBTI sichtbar werden, laufen sie auch eine große Gefahr angegriffen zu werden." Maneo fordere vor allem Prävention und Aufklärungsarbeit. "Aber die Polizei muss LSBTI-Menschen als Ordnungsmacht schützen - auch am Kottbusser Tor selbstverständlich."

Unter den Betroffenen seien auch immer wieder Geflüchtete, die hier in Berlin erneut Opfer von schwulen- und transfeindlichen Angriffen werden. "Sie kommen hierher, weil sie Schutz suchen und die Freiheit genießen wollen, und erfahren Gewalt."

Soll ich jetzt aufpassen, was ich anziehe?

In 69 Staaten ist Homosexualität bis heute strafbar, in elf steht auf gleichgeschlechtlichen Sex sogar die Todesstrafe [lsvd.de]. Auch in Daniels Herkunftsland drohte ihm der Tod, weil er schwul und Atheist ist. "Und jetzt will man mich in Berlin schlagen, weil ich lackierte Fingernägel und eine glitzernde Jacke anhabe." Er dachte, das liege alles in der Vergangenheit, ganz weit weg. "Soll ich jetzt aufpassen, was ich anziehe?", fragt er verzweifelt.

Daniel kommt mit Prellungen am Kopf in ein Krankenhaus, einige Stunden später wird er entlassen und kann nach Hause. Am Sonntag ist er noch unter Schock. Erst am Montag kann er über das Geschehene sprechen und fasst einen Entschluss: "Ich werde mir das nicht gefallen lassen, nicht für mich und nicht für irgendjemand anderen. Es ist nicht leicht, schwul zu sein. Andere Menschen haben uns den Weg geebnet. Nun muss ich das meine tun."

Zwei Tage nach dem Angriff blickt er nochmals auf seinen Instagram-Post zu seinem fünften Jahrestag zurück. "Fünf Jahre, 60 Monate, 260 Wochen, 1.825 Tage - egal wie man es zählt, es kommt darauf an, dass ich hier bin, wo ich mich zuhause fühle - in Berlin. Freiheit ist teuer, aber unbezahlbar", steht unter dem Bild, in dem er unbekümmert lächelt.

Beitrag von Efthymis Angeloudis

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