Kommentar | Gesangsverbot für Chöre in Berlin - Es fehlt die Angemessenheit der Mittel

So 28.06.20 | 18:49 Uhr | Von Maria Ossowski
Ein Chor während einer Probe mit Abstand (Quelle: dpa/Robert Jäger)
Bild: dpa/Robert Jäger

Profi- und Laienchöre sind in heller Aufregung: Berlin verbietet gemeinsames Singen in geschlossenen Räumen - auch unter Hygieneregeln. Das ist kein angemessener Umgang mit den ohnehin gebeutelten Sängern, findet Maria Ossowski.

"Zum Singen berufen, zum Schweigen gezwungen“: Unter diesem Motto treffen sich Montag der RIAS Kammerchor und der Rundfunkchor zu Videoaufnahmen. Sie werden schlicht schweigen.

Beide Profi-Chöre wurden kalt erwischt mitten in der Arbeit. Sie hatten sich streng an die Hygienekonzepte der Studien aus der Charité und aus Freiburg gehalten: zwei, sogar drei Meter Abstand zur Seite, sechs Meter Abstand zur Sängerin oder zum Sänger davor; geschlossene Kaffeeküchen, keine Begrüßungen untereinander, nur einzelnes Betreten der Waschräume, Maskenpflicht außer direkt während der Proben. Es gab somit auch keine Erkrankungen. Die Katastrophe in der Berliner Domkantorei mit vielen Infizierten im März hatte alle Chöre besonders sensibilisiert.

Kein gemeinsames Singen, auch wenn die Räume groß sind

Paragraf fünf Absatz eins der neuen Covid-19-Verordnung verbietet dennoch ab jetzt jeden gemeinsamen Gesang in Räumen, auch wenn diese gut gelüftet sind oder riesengroß. Und das beginnt schon bei zwei Menschen, die zusammen singen.

Betroffen von dieser Verordnung sind auch die drei Opern der Hauptstadt. Der Staatsopernchor hat bislang in gebührendem Abstand jeweils in Gruppen zu zehnt geprobt. Die Deutsche Oper möchte im August mit den Proben zu Wagners "Walküre" unter Regisseur Stefan Herheim beginnen.

Die Verwirrung ist noch größer

Zwar hat Kultursenator Klaus Lederer auf Anfrage der Intendanten geantwortet, die Verordnung bezöge sich nicht auf Solisten. Aber damit ist die Verwirrung noch größer. Warum dürfen Solisten singen und professionelle Choristen mit ausgebildeter Atemtechnik bei gleichem Abstand nicht? Warum dürfen Gesangslehrer ihre Schülerinnen und Schüler nicht mehr unterrichten bei gebührender Distanz? Warum haben sowohl Chöre als auch Opernhäuser, freie Sänger sowie Gesangslehrer dies aus den Medien erfahren müssen?

Immerhin gilt diese Verwaltungsanordnung bis zum 24. Oktober, ein Update ist allerdings möglich Ende Juli. Was fehlt bei diesem Verbot jeglichen Singens in geschlossenen Räumen, das ist ist die Angemessenheit der Mittel.

Kein angemessener Umgang mit Sängerinnen

Einschränkungen beim gemeinsamen Singen sind selbstverständlich in Coronazeiten. Zeitliche Begrenzungen beim Gesang, Abstände, Lüftungsverfügungen, Berührungsverbote und vieles mehr. Alles d‘accord.

Aber keine dieser Differenzierungen findet sich in der Anordnung. Singen in geschlossenen Räumen ist verboten und Punkt. Mal schauen, ob die Chorverbände eine einstweilige Verfügung planen, und das Verwaltungsgericht diese Verfügung kippt.

Einen angemessenen und sorgfältigen Umgang mit den ohnehin besonders gebeutelten Sängerinnen und Sängern jedenfalls hat der Senat mit seinem Paragraf fünf für weitere Hygiene und Schutzregeln nicht bewiesen.

Sendung: Inforadio, 29.06.2020, 09:25 Uhr

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Beitrag von Maria Ossowski

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